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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Finger gebrochen war. Er führte die Klasse zurück ins Schulzimmer, holte eine Kollegin herbei, die sie bis zum Schulschluss beaufsichtigen würde, und fuhr mit Mirko ins Krankenhaus.
    «Sind Sie der Vater?»
    Täuschte er sich, oder machte ihm die Dame am Empfang schöne Augen? «Klassenlehrer», stellte er richtig. Ihr Blick suchte seine ringlose linke Hand. Ted steckte sie in die Hosentasche.
    «Wird vermutlich eine Weile dauern, es ist gerade ein schwerer Autounfall reingekommen. Eine Familie mit drei kleinen Kindern, tragisch …»
    Mirko saß zusammengesunken auf dem Plastikstuhl. Er hielt seine verletzte Hand mit der gesunden und starrte seinen Finger an, als könnte er ihn wieder geradebiegen. Sein Gesicht war blass. Ted rief Mirkos Mutter an.
    «Was denn noch!», rief sie, und dann, etwas leiser: «Sorry, aber das passt jetzt gar nicht. Ich kann hier nicht weg. Mein Chef dreht noch durch. Und Privatgespräche mag er auch nicht, also schicken Sie mir doch eine SMS, wenn Sie Genaueres wissen!»
    «Genaueres?»
    «Ja, ob der Finger überhaupt gebrochen ist, Mirko ist nicht der Tapferste …»
    «Er ist eindeutig gebrochen», sagte Ted, doch sie hatte schon aufgelegt. Danach rief er Tobias an und bat ihn, Emma von der Schule abzuholen und nach Hause zu bringen. «Der Ersatzschlüssel ist in einem der Gummistiefel vor der Wohnungstür.»
    «Wieso ich?» Tobias wusste, dass Teds Kolleginnen diese Aufgabe nur zu gerne übernehmen würden.
    «Ich will die Frauen nicht in meiner Wohnung haben», sagte Ted.
    «Du hast vielleicht Probleme! Aber gut, ich mach’s.»
    «Danke.» Ted schaute zu Mirko hinüber und sah, dass er den Tränen nahe war. Er wusste nicht viel über den Jungen, außer, dass er die vierte Klasse wiederholte.
    «Wann kommt meine Mutter?»
    «Sobald sie von der Arbeit wegkann.»
    Mirko zuckte mit den Schultern. «Ihr Chef ist ein Wichser!»
    «Mirko!» Ted seufzte. «Hier, schau mal, ob du ein Spiel findest.» Er reichte dem Jungen sein Handy.
    Mirko blickte auf. «Echt?» Ted nickte. Etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Mirko gelang es auch mit einer Hand mühelos, ein Spiel zu finden, das ihn eine Weile beschäftigte. Seine Gesichtsfarbe war bald wieder normal. Sie warteten schon seit zwei Stunden, als Ted plötzlich einfiel, nach Marie zu fragen.
    «Ich weiß zwar ihren Nachnamen nicht», sagte er, doch die Frau am Aufnahmeschalter wusste, wen er meinte.
    «Frau Doktor Leibundgut», sagte sie. «Sie ist aber heute nicht da.»
    «Ach, schade.»
    «Kennen Sie sie?»
    «Wir gehen zusammen ins Yoga», sagte Ted und kam sich sofort dumm vor. Ins Yoga! Doch die Frau nickte wissend.
    «Dann kennen Sie auch ihren Mann?» Sie beugte sich vor, streckte den Kopf aus dem Schalterfenster heraus. «Den Schauspieler? Der macht ja auch Yoga.»
    «Ich hab ihn schon gesehen», nickte Ted.
    «Und, wie ist er so?»
     
Marie
     
    « Go with the flow! Der sympathische Bündner Fernsehstar Gion Camenisch äußert sich philosophisch zum überraschenden Ende der beliebten Fernsehserie Die Vorstadtklinik . Im Gegensatz zu seinen Kollegen spricht keine Bitterkeit aus seinen Kommentaren …»
    «Wie findest du’s?» Gion hielt den Blick starr auf den kleinen Bildschirm gerichtet, auf dem jetzt das Signet der Talkshow Fiona fragt eingeblendet wurde. «Ich glaube, Fiona hat ganz gut verstanden, worum es mir geht», fuhr er fort, während auf dem Bildschirm nun die sympathische Talkmasterin das Publikum begrüßte. Gion, der Stargast des Abends, würde als Letzter auftreten.
    Marie dachte an eine junge Frau, die sie heute in der Notaufnahme gesehen hatte. Obwohl sie einen Hausarzt hatte und auch eine Frauenärztin, kam sie immer wieder in die Notaufnahme. Immer zu Randzeiten, am frühen Abend, am Wochenende. Diffuse Magen-Darm-Beschwerden, chronische Blasenentzündung. Die matten schwarzen Augen, die zu Marie aufschauten. In denen sich nichts spiegelte. Man hatte Marie herbeigerufen, weil der Computer ein Warnpiepsen von sich gegeben hatte: Wer sich mehr als zweimal pro Jahr in der Notaufnahme meldete, ohne dass eine klare Diagnose vorlag, wurde als «möglicherweise suchtmittelabhängig» gekennzeichnet. Doch die junge Frau hatte keine Schmerzmittel verlangt. Sie hatte mit monotoner Stimme ihre Beschwerden aufgezählt, beinahe gelangweilt. Marie erinnerte sich an die Übungsdiagnosen im Studium. Die Studenten, die sich gegenseitig Symptome vorspielten, hatten sie genauso unbeteiligt heruntergeleiert. Schmerz ließ sich nicht

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