Montana Creeds - Das Herz aller Dinge (German Edition)
“Das waren keine Nobelstiefel, nicht so was, was der Typ beim Ford-Händler getragen hat. Nichts mit eingestickten Sternen, Kaktussen und Bären …”
“
Kakteen”
, korrigierte Briana ihn ganz Lehrerin reflexartig.
“Ja, ja”, meinte Josh nur und drehte sich zu ihr um. “Logans Stiefel sind abgestoßen. Wer solche Stiefel trägt, reitet auf Pferden und arbeitet hart.”
Briana dachte an Vances Stiefel. Er hatte sie wiederholt besohlen lassen, und sie waren stets abgestoßen gewesen. “Vielleicht ist er ja bloß arm”, gab sie zu bedenken. “Ich meine Logan.”
Josh schüttelte den Kopf. “Er hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften, Mom!”, wiederholte er.
“Und seine Einkommensquellen sind unbekannt, wie du es gerade ausgedrückt hast”, konterte sie. “Jetzt hör schon auf, meiner Frage auszuweichen, Josh! Warum suchst du im Internet nach Informationen über unseren Nachbarn?”
“Weil ich wissen will, ob er nicht vielleicht ein Serienmörder oder so was ist”, antwortete Josh.
Briana musste sich ein Lächeln verkneifen. In ein paar Minuten würde sie nach Alec sehen, aber im Moment war es wohl besser, wenn sie ihn noch eine Weile in Ruhe ließ. “Und zu welcher Einschätzung kommst du, du Meisterdetektiv? Schweben die braven Leute in der Nachbarschaft nicht in Gefahr?”
Josh grinste. Er lachte seit einiger Zeit nur noch so selten, dass bereits jeder Anflug eines Lächelns ein Grund zum Feiern war. Nachdem Vance sie verlassen hatte, strahlte Josh nicht mehr so wie früher, und manchmal fürchtete Briana, sein inneres Leuchten könnte ganz erlöschen.
“Jedenfalls so lange, bis Dad herkommt”, sagte er dann.
Sie ging über diese Bemerkung hinweg und schaltete die Deckenlampe an, damit das Dämmerlicht aus dem Raum verschwand. “Du würdest doch nicht wirklich weglaufen, oder?”, fragte sie zurückhaltend, während sie die Kühlschranktür öffnete und die Kunstwerke ihrer Kinder im Luftzug flatterten, als seien es die zerzausten Federn eines riesigen Vogels. Trotz der Wurstbrote benötigten die Jungs noch ein richtiges Abendessen. “Ich meine, wenn dein Dad zu Besuch kommt.”
Sein Schweigen auf ihre Frage hin schien kein Ende nehmen zu wollen.
Schließlich schaute er von seinem Platz vor dem Computer aus zu Boden. “Ich bin erst
zehn
, Mom”, entgegnete er. “Wohin soll ich denn weglaufen?”
Briana legte die Hähnchenschenkel zur Seite, die sie soeben aus dem Kühlschrank genommen hatte, und ging zu ihrem Sohn. Eigentlich wollte sie eine Hand auf seine Schulter legen, doch dann zog sie sie zurück. “Josh …”
“Warum kann er uns nicht einfach in Ruhe lassen?”, unterbrach er sie klagend. “Du hast dich von ihm scheiden lassen. Ich will mich auch von ihm scheiden lassen.”
Sie ging in die Hocke und sah Josh in die Augen. Er war ein sehr besorgter kleiner Junge, der sich solche Mühe gab, ein ganzer Mann zu sein. “Ich weiß, du bist wütend”, sprach sie. “Aber dein Dad wird immer dein Dad sein. Er ist nicht vollkommen, Josh, genauso wie kein anderer Mensch vollkommen ist.”
Eine Träne lief über seine Wange, eine schmale silbrige Spur, die den Staub von einem fröhlichen Nachmittag durchzog. “Ich wünschte, wir könnten ihn für einen anderen Dad eintauschen.”
Briana versuchte ein Lächeln, während ihr Tränen in die Augen stiegen. “Kosmische Kardinalregel Nummer eins”, sagte sie. “Du kannst weder die Vergangenheit noch andere Menschen ändern. Und ich sage dir ganz ehrlich: Auch wenn es oft ziemlich schwer war, bedauere ich nicht, dass ich deinen Dad geheiratet habe.”
Verblüfft schniefte Josh. “Nicht?”
Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf.
“Wieso denn nicht? Er hat doch nie einen Job. Und wenn er den Scheck für mich und Alec schickt, dann ist der nie gedeckt. Wünschst du dir denn nicht, dass du einen anderen Mann geheiratet hättest? Oder überhaupt keinen?”
Mit einer Hand strich sie über Joshs für den Sommer extrem kurz geschnittenes Haar. “Das habe ich mir nie gewünscht”, erklärte sie. “Denn wenn ich euren Dad nicht geheiratet hätte, dann gäbe es dich und Alec nicht. Und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, was für ein Leben das wäre.”
Josh begann zu grübeln. Sie hatten über diese Dinge schon früher gesprochen, aber mehr noch als Alec musste er von Zeit zu Zeit daran erinnert werden, dass sie für ihn da war, dass sie für ihn gegen das Böse kämpfen oder auch durchs Feuer gehen würde.
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