Montana Creeds - Soweit die Sehnsucht trägt (German Edition)
Gesichtsausdruck immer gut deuten können, aber jetzt jagte eine Gefühlsregung die nächste, und er wusste nicht, was sie von seinen Worten hielt.
Sharlene schwieg eine Weile, wenn man von ihrem beständigen Schluchzen absah – ein recht sicheres Zeichen dafür, dass ihr Freund sich tatsächlich mit dem abgestaubten Geld abgesetzt und sie ohne einen Cent und ohne Auto im Motel zurückgelassen hatte.
“Dann komme ich und hole Bonnie. Irgendwie schaffe ich es schon zu dir. Notfalls per Anhalter oder so. Ich will meine Tochter zurückhaben. Ohne sie bin ich völlig allein.”
Das Badewasser wurde allmählich kalt, und Dylan begann bereits zu frösteln, trotzdem ließ er nicht noch Warmwasser nachlaufen. Er glaubte nicht, dass er in der Lage sein würde, sich zu bewegen. “Hör zu, Sharlene”, sagte er etwas sanfter. “Fahr nicht per Anhalter, okay? Das ist gefährlich. Da draußen treiben sich zwielichtige Typen herum.”
“Mir ist egal, was mir zustoßen könnte!” Von wegen!
Bei Sharlene drehte sich immer alles
nur
um Sharlene
. “Ich will nur zu meinem Baby! Ich hätte dir Bonnie niemals überlassen dürfen …”
Sie würde wie ein Marschflugkörper auf Stillwater Springs zusteuern, das wusste er nur zu genau. Und wenn sie per Anhalter mit Alkoholikern, Drogensüchtigen oder Vergewaltigern von Texas nach Montana fahren musste, es wäre das, was sie ohne zu zögern tun würde. So ungern er sie auch in seiner Nähe haben wollte, konnte er sie nicht in einer solchen Gesellschaft reisen lassen, denn sie war nicht nur ein menschliches Wesen, sondern auch die Mutter seiner Tochter.
“Ich werde dir ein Flugticket reservieren”, sagte er.
Kristy machte daraufhin einen Moment lang große Augen.
“Aber bevor du dich auf den Weg machst, solltest du eine Sache wissen”, fuhr Dylan ernst fort. “Ich habe das alleinige Sorgerecht beantragt.”
Es folgte eine erdrückende Stille.
Dylan hatte ihr das nicht übers Telefon enthüllen wollen, schon gar nicht in ihrer derzeitigen Verfassung. Aber es wäre verkehrt gewesen, gar nichts davon zu sagen.
“Du willst sie mir wegnehmen?”, fragte sie. Diesmal war ihre Stimme leise und brüchig, und es hörte sich ehrlich an.
Wut und auch eine Spur von Mitleid regten sich in Dylan. Er hatte nicht die beste Kindheit gehabt, und Sharlenes war noch schlimmer verlaufen. Auf ihre eigene, verletzte Art liebte sie Bonnie sicherlich, aber von einer verantwortungsbewussten Mutter war sie weit entfernt. Sie verstand es, anderen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, und sie konnte lügen, ohne rot zu werden. Aber sobald ihr Bonnie das nächste Mal bei ihren Plänen im Weg stand, würde Sharlene ihre eigene Tochter irgendwem aufs Auge drücken.
“Ich will das alleinige Sorgerecht, Sharlene”, erklärte Dylan betont ruhig, während er und Kristy sich ansahen. “Ich werde dich dennoch nicht daran hindern, Bonnie zu besuchen, wenn du sie sehen willst.”
Ein paarmal schniefte sie. “Aber ich bin doch ihre
Mutter
! Sie ist alles, was ich habe.”
“Es geht nicht darum, was du hast oder nicht hast”, erwiderte Dylan behutsam. “Bonnie braucht ein Zuhause, eine Familie, geordnete Verhältnisse. Das alles kann ich ihr geben.”
Sharlene reagierte mit einem leisen verächtlichen Lachen, was Dylan traurig stimmte. Sie stand mit dem Rücken zur Wand und versuchte, irgendwie zum Gegenangriff überzugehen. Es war ihre Art, ihr Leben zu führen – Schadensbegrenzung, wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen war. “Oh ja, ganz sicher. Bis du von dieser Frau genug hast, mit der ich gerade gesprochen habe … oder bis du wieder an einem Rodeo teilnehmen willst …”
Dylan stieg aus der Badewanne und wickelte sich ein Handtuch um die Hüften. Der Zeitpunkt war gekommen, um das As auszuspielen, das er lieber im Ärmel hätte stecken lassen. “Natürlich”, redete er weiter, als hätte sie gar nichts gesagt, “wirst du finanziell entschädigt werden.”
Jetzt würde er erfahren, wie weit Sharlenes Mutterliebe wirklich ging. Wenn sie ihm sagte, er könne sich sein Geld sonst wohin stecken, dann würde er zwar weiter um das Sorgerecht kämpfen, sich aber viel großzügiger zeigen, was die Besuchshäufigkeit anging. Wenn nicht …
“Wie viel?”, fragte sie. Da waren keine Tränen mehr zu hören, vielmehr hatten seine Worte sie hellwach werden lassen.
Ihre Frage versetzte Dylan einen Stich ins Herz, der nicht ihm, sondern Bonnie galt. Ihm kam fast die Galle hoch.
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