Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
weit geöffnet wurde, dass die Kette mit einem Klack am Anschlag war. Laurie wohnte in einem Gebäude in der 19 th Street, in dem es pro Etage zwei Wohnungen gab. Ihre ging nach hinten hinaus auf einen handtuchgroßen Hinterhof, in der anderen zur Straße hin lebte eine Einsiedlerin namens Debra Engler. Deren Gewohnheit war es, jedes Mal, wenn Laurie in den Flur trat, die Tür einen Spaltbreit zu öffnen und herauszuspähen. Meistens ärgerte sich Laurie über die Neugier, die sie als Eindringen in ihre Privatsphäre empfand, doch im Moment war es ihr egal. Es hatte sogar etwas Vertrautes, ein Zeichen dafür, dass sie nach Hause kam.
Sobald sie in der Wohnung war, verriegelte und verschloss sie die Tür mit allem, was ihre Vormieter angebracht hatten. Dann blickte sie sich um. Schon über einen Monat war sie nicht mehr hier gewesen, und sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal hier geschlafen hatte. In der Luft hing ein schaler Geruch, und alles war mit einer Staubschicht überzogen. Die Wohnung war kleiner als Jacks Apartment, doch mit den richtigen Möbeln und einem Fernseher weit gemütlicher und bequemer. Die Farben der Stoffe und der Wände, an denen gerahmte Drucke von Gustav Klimt hingen, die sie im Metropolitan Museum of Modern Arts erstanden hatte, waren warm und einladend. Das Einzige, was fehlte, war ihr Kater, Tom 2, den sie vor einem Jahr einer Freundin auf Shelter Island zur Pflege gegeben hatte. Ob sie ihn wohl nach so langer Zeit zurückverlangen konnte?
Laurie zog ihren Koffer in das winzige Schlafzimmer, wo sie eine halbe Stunde lang alles einräumte. Nachdem sie schnell geduscht hatte, zog sie sich den Bademantel an und machte sich einen einfachen Salat. Obwohl sie nichts zu Mittag gegessen hatte, war sie nicht besonders hungrig. Schließlich nahm sie den Salat und ein Glas Wein mit ins Wohnzimmer, wo sie ihren Laptop einschaltete. Während er hochfuhr, nahm sie sich endlich die Zeit, darüber nachzudenken, was sie von ihrem Vater erfahren hatte. Es hatte sie einige Mühe gekostet, es bis jetzt zu verdrängen, doch sie hatte warten wollen, bis sie alleine war und Zugang zum Internet, aber auch Kontrolle über ihre Gefühle hatte. Sie wusste, dass sie über das Thema nicht genug Bescheid wusste, um es klar durchdenken zu können.
Das Problem war, dass sich die Medizin mit halsbrecherischer Geschwindigkeit weiterentwickelte. Laurie hatte Mitte der Achtzigerjahre studiert und eine Menge über Genetik gelernt, doch inzwischen hatte es auf dem Gebiet der rekombinanten DNS-Technologie einen Durchbruch nach dem anderen gegeben. Und seitdem hatte sich dieser Bereich der Medizin explosionsartig entwickelt und gipfelte in der Sequenzierung der 3,2 Milliarden Basenpaare des menschlichen Genoms, die 2001 mit großem Trara verkündet worden war.
Laurie hatte Wert darauf gelegt, sich über Genetik einigermaßen auf dem Laufenden zu halten, vor allem in den Bereichen, in denen diese mit der Gerichtsmedizin zu tun hatte. Die wiederum war an der DNS jedoch nur so weit interessiert, wie sie Methoden der Identifizierung zur Verfügung stellte. Es war entdeckt worden, dass sich bestimmte nicht codierende Bereiche des Erbguts oder Bereiche, die keine Gene enthielten, so weit voneinander unterschieden, dass selbst nahe Verwandte ungleiche Sequenzen aufwiesen. Dieser so genannte genetische Fingerabdruck war bei Lauries gerichtsmedizinischer Arbeit ein wertvolles Werkzeug.
Doch die Struktur und Funktion von Genen waren ein gänzlich anderes Thema, ein Bereich, in dem sich Laurie nicht auskannte. Zwei neue Wissenschaften waren geboren worden: die medizinische Genomik, die sich mit dem hochkomplexen Informationsfluss innerhalb einer Zelle beschäftigte, und die Bioinformatik, also die Anwendung der Informatik auf biologische Fragestellungen.
Laurie nahm einen Schluck von ihrem Wein. Es war erschreckend, nach und nach die Zusammenhänge dessen zu erfassen, was sie von ihrem Vater erfahren hatte – nämlich dass ihre Mutter den Marker für das BRCA1-Gen in sich trug und Laurie dies mit der Chance von fünfzig Prozent ebenfalls tat. Sie erschauderte.
Es hatte etwas Perverses, zu wissen, dass sich irgendwo in ihren Zellen etwas versteckte, das möglicherweise ihren Tod bewirken würde. Bis jetzt hatte sie immer geglaubt, dass Informationen an und für sich gut waren. Jetzt war sie sich gar nicht mehr so sicher. Vielleicht gab es Dinge, die man besser nicht wissen sollte.
Sobald die Verbindung zum
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