Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
all die Kopfschmerzen und das Gift, das sie mit Michael verband, die Schande ihrer Praxispleite und die durch die momentanen Schwierigkeiten mit Angels Healthcare hervorgerufenen Ängste millionenfach übertraf. Sie gab Angela die Möglichkeit, ihre Prioritäten neu zu setzen und zu überlegen, was wirklich wichtig war. Und während sie das tat, dachte sie an den gestrigen Abend. Nach dem gemeinsamen Essen mit Chet McGovern war ihr noch sehr viel bewusster geworden als währenddessen, dass sie sich wirklich außerordentlich gut amüsiert hatte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Auch wenn sie sich zunächst einmal nur aufgrund von Nützlichkeitserwägungen darauf eingelassen hatte, nämlich um herauszufinden, ob Laurie Montgomery eine echte Bedrohung darstellte, war ihr etwas wieder bewusst geworden: dass sie nämlich durch ein offenes Gespräch und überhaupt durch den Austausch mit einem allem Anschein nach vernünftigen Mann auch eine Menge über sich selbst erfahren konnte. Noch nie zuvor hatte sie ein solch aufrichtiges Gespräch über ihre eigene Motivation geführt, mit niemandem, nicht einmal mit sich selbst.
So leise, wie sie Michelles Zimmer betreten hatte, ging sie auch wieder hinaus und zog die Tür zu, ohne sie ganz ins Schloss fallen zu lassen, genau so, wie sie gewesen war. Michelle brauchte immer ein bisschen Licht, das die Dunkelheit ihres Zimmers durchschnitt und eine Verbindung zur realen Welt herstellte.
In der Küche angelangt, schaltete Angela behutsam die Espressomaschine ein. Haydees Schlaf- und Badezimmer gingen direkt von der Küche ab, und Angela wollte sie nicht stören.
Während sie wartete, bis das Licht an der Maschine signalisierte, dass Temperatur und Wasserdruck die benötigten Werte erreicht hatten, dachte sie wieder an ihr Abendessen mit Chet McGovern zurück. Wie sie ihm gegenüber eingestanden hatte, dass sie zum Teil nur deshalb Medizin studiert hatte, um sich an ihrem Vater zu rächen, war nicht besonders schmeichelhaft gewesen. Was sie ihm nicht erzählt hatte, war, wie sehr sie das Studium genossen hatte, vor allem die Phasen der klinischen Ausbildung und darunter vor allem die Jahre als Assistenzärztin. Für die meisten ihrer Kommilitonen war diese Zeit eine Riesenstrapaze gewesen, doch sie hatte sie als die krönende Erfahrung ihres Lebens empfunden: eine perfekte Kombination aus Helfen und Lernen.
Die Kaffeemaschine war bereit. Angela legte eine der versiegelten Portionspackungen ein, zog den Griff fest und schaltete das Gerät ein. Es wurde laut in der stillen Wohnung, und sie verzog das Gesicht.
Während der Kaffee in die Tasse lief, dachte Angela an einzelne Erlebnisse mit bestimmten Patienten oder Angehörigen während ihrer Assistenzzeit und in den Jahren mit ihrer eigenen Praxis zurück. Da hatte es die außerordentlich freudigen ebenso gegeben wie die außerordentlich traurigen, aber es waren immer einzigartige, menschliche Begegnungen gewesen. Dann fing sie an zu vergleichen, wie sie sich nach einem Tag als Hausärztin gefühlt hatte und nach einem Tag bei Angels Healthcare fühlte, und musste feststellen, dass die Befriedigung aus völlig unterschiedlichen Quellen gespeist wurde. Als Ärztin war diese Befriedigung zutiefst persönlicher Natur gewesen – am Ende eines Arbeitstages konnte sie sich fast immer in dem Gefühl sonnen, dass sie zumindest einigen wenigen Menschen unmittelbar helfen konnte. Als Geschäftsfrau war die Zufriedenheit sehr viel diffuser und hatte etwas damit zu tun, was man den Tag über erreicht hatte, auch, wenn es nur schwierig in Worte zu fassen war. In jedem Fall aber hatte es etwas mit Geld zu tun.
Angela nahm ihren Kaffee mit in ihr Arbeitszimmer. Das war ihr Lieblingszimmer. Eine Wand war komplett vom Boden bis zur Decke mit Bücherregalen und einer dazu gehörigen, an einer Führungsschiene befestigten Leiter versehen. Als Kind hatte Angela Bücher geliebt, und sie war stolz darauf, dass sie noch nie eines weggeworfen hatte.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, holte einen Schreibblock hervor und fing an, alle Probleme, mit denen sie es im Augenblick zu tun hatte, sowie alle Gegenmaßnahmen, die sie am heutigen Tag einleiten wollte, aufzulisten. Als sie Pauls Namen aufschrieb, dachte sie daran, dass ihr Buchhalter ein Alkoholproblem hatte, von dem sie nichts gewusst hatte. Vom Standpunkt der Vorstandsvorsitzenden machte es sie wütend, dass ihr eine solche Information vorenthalten worden war, und sie wunderte sich, dass Bob
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