Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
ganze Weile wach gelegen; wie lange, wusste sie nicht mehr. Als sie schließlich auf die Uhr schaute, war es Viertel vor fünf, also eine Stunde, bevor Jack aufstehen und sich unter die Dusche stellen würde, und eineinviertel Stunden, bevor er zurückkommen und sie aus dem Bett zerren würde. Das war zumindest der normale Ablauf. Die Tatsache, dass sie bereits jetzt wach war, sprach Bände über ihren seelischen Zustand. Laurie war ein Nachtmensch. Jeden Abend gegen zehn, wenn Jack nur noch mit Mühe die Augen offen halten konnte, wachte Laurie wieder richtig auf. Sie liebte es, spät am Abend zu lesen, und saß öfter, als sie zugeben mochte, auch noch nach Mitternacht in einen Roman vertieft da. Jedes Mal schimpfte sie sich am Morgen danach deswegen aus und schwor sich, es nie wieder so weit kommen zu lassen.
Jetzt lag sie hellwach auf dem Rücken, starrte an die dunkle Decke hinauf und wusste ganz genau, wo das Problem lag: Sie war deprimiert. Es war keine große, lähmende Depression, wie sie sie zwar noch nie gehabt hatte, die sie sich aber durchaus vorstellen konnte, sondern eher so etwas wie ein nagendes Gefühl der Melancholie darüber, dass sie unausweichlich auf eine große Enttäuschung zusteuerte. So lange sie zurückdenken konnte, hatte sie sich ein Kind gewünscht, und auch während ihrer langen Ausbildung hatte sie sich eigentlich immer als Mutter im Wartestand gesehen. Dem Zeitmangel während der Ausbildung hatte sie auch die Schuld daran gegeben, dass sie keinen Ehepartner gefunden hatte. Dann hatte sie sich in Jack verliebt und musste sich mit seinen Schuldgefühlen aufgrund des Verlustes seiner Angehörigen und mit seinen Zweifeln, ob er sich überhaupt noch einmal auf eine Familie einlassen konnte und wollte, auseinandersetzen. Doch diese Phase lag nun hinter ihnen, und sie versuchten tatsächlich, ein Kind zu bekommen, aber seit einem Jahr vergeblich, trotz ausführlicher Temperaturtabellen und genauester Beobachtung ihrer Monatszyklen. Das Problem war ihr Alter, jetzt, da sie die Vierzig hinter sich hatte. Mit jedem Monat bekam sie ein wenig mehr Angst davor, nicht mehr auf natürlichem Weg ein Kind empfangen zu können, und jetzt wollte Jack sich auch noch unbedingt operieren lassen, sodass er anschließend Gott weiß wie lange außer Gefecht gesetzt war. Und nicht nur das, er hatte sich auch noch einen Zeitpunkt ausgesucht, der ein erhebliches Risiko in sich barg.
Laurie drehte sich auf die Seite, stützte den Kopf auf den Ellbogen und betrachtete Jack. Sie ließ den Blick über sein Profil gleiten, ein Sinnbild friedvoller Beschaulichkeit, wie er da auf dem Rücken lag, einen Arm entspannt nach hinten gelegt und neben dem Kopf auf dem Kissen ruhend. Sie liebte ihn wirklich von Herzen, aber seine Sturheit trieb sie manchmal in den Wahnsinn, wie zum Beispiel bei dieser Sache mit der Operation. Sie konnte beim besten Willen nicht verstehen, wie er all ihre Ermittlungsergebnisse einfach beiseitewischen und immer noch glauben konnte, dass dieser Eingriff eine gute Idee war.
Laurie wurde klar, dass an Einschlafen nicht mehr zu denken war. Mit Morgenmantel und Badelatschen tapste sie in das gemeinsame Arbeitszimmer, das sie sich eingerichtet hatten. Es fing gerade an zu dämmern. Sie richtete den Blick hinunter auf die 106 th Street und auf Jacks geliebten Basketball-Court und wünschte, er würde einfach so verschwinden. Dann wandte sie sich dem Doppelschreibtisch zu. Auf ihrer Seite türmten sich neben der unvollständigen MRSA-Tabelle hohe Stapel aus MRSA-Fallakten und den Patientenakten ihrer insgesamt vierundzwanzig Fälle. Sie hatte das ganze Material gestern Abend mit nach Hause geschleppt, um sich noch einmal damit zu beschäftigen, hatte es dann aber doch sein lassen. Sie überlegte, ob sie sich vielleicht jetzt daranmachen sollte. Doch noch bevor sie sich setzen konnte, war ihr klar geworden, dass sich an ihrer Stimmung vom gestrigen Abend eigentlich nichts geändert hatte. Mutlos, wie sie war, sagte sie sich immer wieder, dass ihre Mühe sowieso umsonst war. Jack würde das machen, was er machen wollte.
Laurie ging in die Küche und kochte sich einen Kaffee. Dann setzte sie sich an den Frühstückstisch und dachte über eine In-vitro-Befruchtung nach und darüber, was Jack wohl dazu sagen würde. Sie hatten über diese Frage noch nicht gesprochen, auch, wenn es der logische nächste Schritt war. Um ehrlich zu sein, Laurie hatte sich davor gefürchtet. Sie wusste, dass Jack sich in
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