Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
ernsthaft wehgetan.
»Es gibt da ein paar, die, glaube ich, eine echte Herausforderung sind«, sagte Riva.
»Das hört sich gut an«, meinte Jack. »Mit wie vielen kann ich rechnen?«
»Mindestens drei«, lautete Rivas Antwort. »Zwei Kollegen haben einen Aktentag beantragt, also müssen wir anderen den Überhang irgendwie mit übernehmen.« Aktentage waren Tage, an denen die Gerichtsmediziner nicht obduzierten, sondern sich ausstehende Informationen beschafften, die sie zum Abschluss noch offener Fälle und zum Ausstellen der Totenscheine benötigten.
»Jack, ich fürchte, das hier musst du dir anschauen«, sagte Laurie. Sie hatte sich die MRSA-Akte durchgelesen, die sie von Riva bekommen hatte.
Jack verdrehte die Augen. Er konnte sich unschwer ausrechnen, dass Laurie wieder einmal einen Versuch unternehmen wollte, um ihn zum Umdenken zu bewegen.
»Das hier ist eine genau Kopie von David Jeffries’ Fall«, fing Laurie an. »Sie ist ebenfalls in einer Angels-Healthcare-Klinik operiert worden, hat eine fulminante MRSA-Infektion erlitten und wurde ins University Hospital verfrachtet, in der Hoffnung, dass man ihr dort noch helfen kann.«
»Gott sei Dank ist es nicht in der Orthopädie-Klinik passiert«, sagte Jack.
»Du sollst das ernst nehmen, Jack«, monierte Laurie. »Das ist die zweite außergewöhnlich fulminant verlaufende Staphylokokkeninfektion innerhalb von zwei Tagen. Du musst deine Entscheidung noch einmal überdenken. Die meisten MRSA-Infektionen verlaufen nicht tödlich, und schon gar nicht innerhalb weniger Stunden nach Auftreten der ersten Symptome. Das hier fällt vollkommen aus dem Rahmen, in jeder Hinsicht. Wieso kannst du das nicht sehen?«
»Ich sehe es ja. Es ist ein Rätsel, und du hast meine vollste Unterstützung bei all deinen Bemühungen, dieses Rätsel zu lösen. Aber was mich angeht, so habe ich mich entschlossen, mich in die ausgesprochen fähigen Hände von Dr. Wendell Anderson zu begeben. Wenn er sich das zutraut, dann traue ich es ihm auch zu. Solltest du auf irgendeinen konkreten Hinweis stoßen, der auf ein besonderes Risiko schließen lässt, dann werde ich ernsthaft über eine Verschiebung nachdenken, aber falls nicht, dann ist meine Entscheidung gefallen. Ich bin sogar auf MRSA getestet worden und war ohne Befund. Dr. Anderson hat noch keinen einzigen MRSA-Fall erlebt. Kurz und gut: Ich lasse mich morgen operieren und basta.« Jack unterbrach sich und holte ein paarmal tief Luft. Er war im Lauf seines Monologs immer aufgeregter geworden. Ihre Blicke trafen sich für einen Augenblick, dann sagte er: »Und jetzt gehe ich runter und obduziere meine erste Leiche. Okay?«
Laurie nickte. Die Melancholie, die sie nach dem Aufwachen überkommen hatte, kehrte langsam zurück. Sie spürte, wie sich irgendwo hinter ihren Augen die Tränen sammelten, doch sie rang sie nieder. »Okay«, sagte sie mit leicht zögerlichem Tonfall. »Wir sehen uns dann im Schacht.«
»Wir sehen uns dann im Schacht«, wiederholte Jack und ging hinaus.
Riva und Laurie warfen einander einen Blick zu. Laurie wollte Beistand haben, und Riva wollte ihr diesen Beistand geben.
»Das Problem mit den Männern«, dozierte Riva, »besteht darin, dass sie Männer sind und anders ticken als wir. Die Ironie bei der ganzen Sache liegt darin, dass sie uns immer unterstellen, wir würden uns von unseren Emotionen leiten lassen, während sie genau das Gleiche machen. Er hat sich auf der emotionalen Ebene für diese Operation entschieden und ist in diesem Punkt vollkommen unfähig, Vernunft walten zu lassen.«
Laurie musste unwillkürlich lächeln. »Danke«, sagte sie. »Genau so was habe ich gebraucht.«
»Aber es ist interessant, dass er dir eine Hintertür offen gelassen hat«, meinte Riva. »Und ich bin Zeugin. Er hat gesagt, dass er dich anhören würde, falls du auf einen Hinweis stoßen solltest, dass er einem besonderen Risiko ausgesetzt sein könnte. Natürlich hat er nicht gesagt, er würde seine Entscheidung ändern, aber ausschließen kann man das nicht. Du musst also noch mehr über die Gründe und Ursachen für diese Infektionen herausfinden. Ich weiß, das ist innerhalb von vierundzwanzig Stunden alles andere als einfach, aber wenn man sich anschaut, was du schon alles herausgefunden hast, würde ich sagen: Wenn es überhaupt jemand schaffen kann, dann du!«
Laurie nickte zustimmend, nicht, weil sie sich für diejenige hielt, die dieser Herausforderung am ehesten gewachsen war, sondern weil auch sie
Weitere Kostenlose Bücher