Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
Ermittler eingesetzt wurden. Es war gängige Praxis am OCME, nicht ausgebildete Gerichtsmediziner, sondern eben kriminaltechnische Assistenten zur Tatortbesichtigung heranzuziehen. Der Chef der Gerichtsmedizin, Dr. Harold Bingham, war fest davon überzeugt, dass er die Zeit seiner Pathologen sinnvoller nutzen konnte, obwohl auch er zugeben musste, dass es in manchen Fällen absolut notwendig war, den Tatort persönlich in Augenschein zu nehmen, um die Todesart eindeutig bestimmen zu können.
Bereits nach wenigen Sätzen hatte Jack verstanden, was Laurie meinte. David Jeffries war im Anschluss an eine Kreuzbandoperation einer fulminanten Staphylokokkeninfektion zum Opfer gefallen, ausgelöst von einem besonders heimtückischen Staphylokokken-Stamm, dem sogenannten methicillinresistenten Staphylococcus aureus, kurz MRSA genannt. Angesichts seines Streits mit Laurie bezüglich seiner bevorstehenden Operation war diesem Fall eine gewisse, zufällige Übereinstimmung nicht abzusprechen, auch wenn er sich in einer anderen Klinik ereignet hatte. »Ich weiß, was du denkst«, sagte Jack, »aber ich werde meine Meinung nicht ändern. Ich habe das Risiko einer postoperativen Infektion bereits einkalkuliert. Du kannst mir keine Angst einjagen.«
»Aber so eine Parallele muss dich doch noch einmal zum Nachdenken bringen«, wandte Laurie ein. Sie selbst, das wusste sie, würde in einer vergleichbaren Lage jedenfalls sehr viel mehr unternehmen, als nur nachzudenken.
»Ehrlich gesagt, nein«, entgegnete Jack. »Zunächst einmal bin ich nicht abergläubisch, und zweitens habe ich mich bei Dr. Anderson ausdrücklich nach seiner Statistik bezüglich postoperativer Infektionen erkundigt. Er hat gesagt, dass er in seiner ganzen Karriere nur im Zusammenhang mit Trümmerbruch-Operationen Probleme mit postoperativen Infektionen hatte, und das ist wirklich etwas vollkommen anderes. Und außerdem, das hier war ja im University Hospital.« Jack wollte Laurie die Unterlagen zurückgeben, aber sie nahm sie nicht an.
»Wenn du weitergelesen hättest, dann wüsstest du, dass das nicht stimmt.«
»Was soll das denn heißen?«, sagte Jack. Er merkte, wie der Ärger über dieses ganze Operationsthema wieder in ihm hochkochte. Laurie konnte manchmal einfach nicht lockerlassen, und das ging ihm gelegentlich mächtig auf die Nerven, auch wenn er schon öfter zu hören bekommen hatte, dass er mit derselben Eigenschaft gesegnet war.
»Der Patient ist elf Stunden vor seinem Tod im Angels Orthopedic Hospital operiert worden, nicht an der Uni-Klinik. Dass er letztendlich dort gestorben ist, liegt daran, dass er wegen eines schweren septischen Schocks und einer fulminanten Staphylokokken-Pneumonie dorthin überwiesen worden ist.«
»Tatsächlich?« Jack las sich die Notiz des kriminaltechnischen Assistenten noch einmal durch. Das musste er mit eigenen Augen sehen, obwohl er fest überzeugt war, dass Laurie sich so etwas niemals aus den Fingern saugen würde.
»Das muss dich doch beunruhigen«, sagte Laurie jetzt. »Die Tatsache, dass sie einen Patienten in lebensgefährlichem Zustand in ein anderes Krankenhaus verlegen mussten, spricht ja nicht unbedingt für diese Klinik. Welches Krankenhaus würde seine schmutzige Wäsche einfach auslagern? Der Patient ist anscheinend noch im Notarztwagen gestorben. Das ist doch Wahnsinn!«
»Die neuen Behandlungsmethoden bei einem septischen Schock erfordern speziell ausgebildetes Personal«, erwiderte Jack. Er war durch seine Lektüre abgelenkt. Der rasante Verlauf der Infektionserkrankung war absolut erschütternd. Jack, der vor zehn Jahren einmal etliche Infektionsopfer obduziert und die Todesursache richtig erkannt hatte – pures Glück, wie er selbst sagte – und seitdem am OCME als eine Art Infektions-Guru gehandelt wurde, war unwillkürlich tief beeindruckt. Er fragte sich sogar, ob Mr Jeffries womöglich eine hoch ansteckende Infektionskrankheit wie zum Beispiel das Amerikanische Fleckfieber gehabt hatte.
»Ist der infektiöse Keim eindeutig als Staphylococcus aureus identifiziert worden?«, erkundigte er sich. Er versuchte sich zu erinnern, welche andere bekannte Infektionskrankheit einen solch rasanten Verlauf nahm.
»Nicht durch Kulturen, aber durch ein automatisches Diagnosesystem auf monoklonaler Basis. Sowohl die Operationswunde als auch die Lunge haben einen Befall mit methicillinresistenten Staphylokokken ergeben, und zwar interessanterweise mit einem Stamm, der den außerhalb des
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