Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
waren wie seine Rikscha, zerquetscht werden könnte, jedenfalls wurde er kein bisschen langsamer. Der Abstand verkleinerte sich rasant, und Jennifer hätte den Leuten, die sich außen an den Bussen festklammerten, ohne Probleme die Hand reichen können.
Jennifer war fest davon überzeugt, dass die Motorrikscha und die Busse irgendwie kollidieren würden, ließ den Handgriff los und hielt sich mit beiden Händen an der Sitzkante fest. Sie machte die Augen zu und presste die Zähne zusammen. Gleich würde das Knirschen des Aufpralls ertönen. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen hörte sie das ohrenbetäubende Kreischen der Bremsen, als die Busse vor einer roten Ampel schlagartig langsamer wurden. Jennifer schlug die Augen wieder auf. Die Motorrikscha, die einen sehr viel kürzeren Bremsweg hatte, schoss vorwärts und ließ die beiden bremsenden Busse hinter sich, bevor der Fahrer sie ebenfalls zum Halten brachte.
Sobald die Motorrikscha schlingernd zum Stehen gekommen war, wurde sie von einer kleinen Horde barfüßiger, schmutziger Kinder in Lumpen umringt. Sie waren zwischen drei und zwölf Jahren alt und reckten Jennifer die linke Hand entgegen, während sie mit der Rechten imaginäres Essen zum Mund führten. Ein paar ältere Mädchen trugen Windelkinder auf den Hüften.
Jennifer machte sich auf ihrem Sitz immer kleiner und blickte in die traurigen dunklen Kinderaugen, die zum Teil mit Eiterkrusten überzogen waren – ein sicheres Anzeichen für eine Infektion. Jennifer wollte ihnen kein Geld geben, um ja keinen Tumult auszulösen, und blickte hilfesuchend zu ihrem Fahrer. Dieser machte jedoch keine Anstalten, sich zu rühren oder sich auch nur umzudrehen. Geistesabwesend drehte er am Gasgriff und ließ den winzigen Motor seines Fahrzeugs im Leerlauf aufheulen.
Jennifer wurde fast schlecht angesichts einer solch offensichtlichen und absolut herzzerreißenden Armut. Sie schwankte zwischen Abscheu und Bewunderung für den Hinduismus, der seinen Anhängern durch die Idee der Wiedergeburt und das Konzept des Karmas solche Gegensätzlichkeiten und Ungerechtigkeiten zumuten konnte.
Zu ihrer Erleichterung sprang die Ampel jetzt auf Grün, und der Schwarm der Motorrikschas, Motorroller, Motorräder, Busse, Lastwagen und Autos setzte sich ruckartig in Bewegung, ohne jede Rücksicht auf die Kinder, die selbst sehen mussten, wie sie sich in Sicherheit brachten.
Die Fahrt bis ins Imperial dauerte, wie versprochen, nur kurz, doch nachdem Jennifer den Fahrpreis bezahlt hatte und die Hoteleinfahrt entlangging – der Rikschafahrer hatte gesagt, dass er das Gelände des Imperial nicht befahren durfte –, fühlte sie sich körperlich und seelisch eher wie nach einem Marathonlauf. Außerdem hatte sie von den ganzen Dieselabgasen leichte Kopfschmerzen bekommen.
Im Näherkommen bewunderte sie das Äußere des Hotels, das den Charme der Kolonialzeit verströmte und damit einen scharfen Gegensatz zu seiner unmittelbaren Umgebung bildete. Wie das Queen Victoria Hospital stand auch das Imperial Hotel inmitten einer Vielzahl eher unattraktiver Läden und Geschäfte.
Dhaval Narang hatte den besten Job der Welt. Das dachte er zumindest, weil er die meiste Zeit nur herumsaß und mit ein paar anderen Angestellten von Shashank Malhotra Karten spielte. Und wenn er dann eine Aufgabe bekam, dann war sie immer interessant und oftmals eine richtige Herausforderung. Da bildete sein jetziger Auftrag keine Ausnahme. Er sollte eine junge Amerikanerin namens Jennifer Hernandez aus dem Weg schaffen. Die Herausforderung bestand darin, dass er keine Ahnung hatte, wie sie aussah. Er wusste nur, dass sie im Amal Palace Hotel wohnte, aber nicht, wie lange noch. Also durfte er nicht viel Zeit damit vergeuden, die Frau ausfindig zu machen, sie anschließend zu beschatten und sich mit ihren Gewohnheiten vertraut zu machen. Shashank hatte angeordnet, die ganze Angelegenheit zu erledigen, und zwar schnell.
Das Radio spielte zeitgenössische, von Bollywood-Filmen inspirierte Musik, und Dhaval, der ein schwarzes Hemd mit offenem Kragen und ein paar Goldketten um den Hals trug, lenkte seinen geliebten schwarzen E-Klasse-Mercedes unter den Baldachin des Amal Palace Hotel. In seinem abgeschlossenen Handschuhfach lag eine Beretta Automatik mit einem siebeneinhalb Zentimeter langen Schalldämpfer. Das war nur eine seiner zahlreichen Wegwerfwaffen. Dhaval hatte die feste Regel, die Waffe nach einem Attentat entweder verschwinden oder aber am Tatort
Weitere Kostenlose Bücher