Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
halten. Du sagst doch immer, dass du keine Überraschungen magst, schon gar keine großen.«
»Bist du schwanger?«
»Schön wär’s. Trotzdem gut geraten. Nein, ich bin nicht schwanger. Vor ein paar Minuten habe ich einen Anruf bekommen, von Jennifer Hernandez. Das ist diese junge Frau, die im kommenden Juni ihren Abschluss an der UCLA Medical School macht. Kannst du dich an sie erinnern? Sie war auch bei unserer Hochzeit, hatte so ein tolles rotes Kleid an. Weißt du noch? Mit einer spitzenmäßigen Figur.«
»Allmächtiger«, murmelte Jack. »Es ist kurz nach Mitternacht, und du weckst mich auf und fragst mich nach dem Kleid, das irgendjemand bei unserer Hochzeit angehabt hat? Das ist doch nicht dein Ernst.«
»Das Kleid spielt keine Rolle. Ich will doch bloß, dass du dich an diese Medizinstudentin erinnerst. Das ist die, die mit zwölf ein Praktikum im OCME gemacht hat und der meine Mutter und ich ein Schulstipendium verschafft haben.«
»Also gut, ich kann mich an sie erinnern«, sagte Jack, und zwar in einem Ton, der klarmachte, dass er gelogen hatte. Er hatte nur einen Wunsch, nämlich möglichst schnell wieder einzuschlafen.
»Sie hat mich vor ungefähr einer Stunde angerufen, aus Indien. Ihre Großmutter war in Neu-Delhi und hat sich operieren lassen. Anschließend ist sie gestorben. Das Krankenhaus setzt jetzt Jennifer unter Druck. Sie wollen eine schnelle Entscheidung von ihr, was mit dem Leichnam passieren soll.«
Jack hob den Kopf und riss die Augen auf. »Indien?«
»Indien«, wiederholte Laurie. Dann erzählte sie ihm die ganze Geschichte, wie sie sie von Jennifer gehört hatte. Am Schluss fügte sie hinzu: »Ich weiß gar nicht, ob du das noch weißt, aber Maria Hernandez war bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr mein Kindermädchen. Danach nicht mehr, aber nur, weil meine Mutter eifersüchtig auf sie war. Ich war damals vollkommen am Boden zerstört. Marias Meinung war mir immer wichtiger als die meiner Mutter, egal, ob es um Klamotten oder irgendwelche anderen Sachen gegangen ist. Ich habe diese Frau geliebt. Sie war wie eine Mutter für mich, und das viele, entscheidende Jahre lang. Manchmal bin ich heimlich rüber nach Woodside, Queens, gefahren, um sie zu besuchen.«
»Wieso hat sie sich denn in Indien operieren lassen?«
»Das weiß ich auch nicht so genau. Wahrscheinlich in erster Linie aus finanziellen Gründen.«
»Glaubst du wirklich, dass da irgendwas faul ist?« Jacks Tonfall war skeptisch.
»Aber natürlich nicht. Ich habe Jennifer einfach nur den Rücken gestärkt, weil sie das zu glauben scheint. Wenn überhaupt, dann ist das bestimmt ein technisches Problem. Und dass die Klinikverwaltung Druck auf Jennifer ausübt, kann ich gut nachvollziehen. Die Leiche liegt seit Montagabend im Kühlraum, aber nicht etwa im Kühlfach einer Leichenhalle. Es hörte sich eher so an, als wäre es die Vorratskammer der Cafeteria.«
»Du meinst, da werden nicht nur Leichen eingelagert, sondern auch Nahrungsmittel?«
»Ganz genau. Und das Verhältnis ist genau andersherum: Die Leiche lagert zwischen Nahrungsmitteln und Medikamenten. Immerhin ist das Essen eingeschweißt, was sich schlimmer anhört, als es ist. Trotzdem … Jennifer glaubt, dass da irgendeine Verschwörung oder so etwas im Gang ist.«
»Das ist doch verrückt! Ich glaube, Miss Jennifer Hernandez ist mit der Situation ein kleines bisschen überfordert und deshalb womöglich eine Spur paranoid.«
»Da bin ich voll und ganz deiner Meinung, und das ist einer der Gründe, weshalb du und ich hoffentlich morgen da hinfliegen werden.«
»Wie bitte?«, sagte Jack. Er hatte sie vermutlich richtig verstanden, aber ganz sicher war er sich nicht.
»Morgen Früh gehe ich als Erstes zu Calvin. Ich hoffe, dass er uns angesichts dieser Situation eine Woche Urlaub gibt. Falls er Ja sagt, besorge ich die notwendigen Visa, dann kaufe ich die Flugtickets, die ich jetzt schon reserviert habe. Und danach …«
»Einen Moment mal!«, sagte Jack. Er setzte sich auf und schlang sich die Decke um die Hüften. Er hatte die Augen weit aufgerissen. »Jetzt mach aber mal halblang. Hast du etwa schon zugesagt, dass wir diese Reise um die halbe Welt antreten?«
»Wenn du damit meinst, ob ich zu Jennifer gesagt habe, dass wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen werden, dann lautet die Antwort: Ja. Aber ich habe ihr auch gesagt, dass wir erst noch Calvins Zustimmung brauchen.«
»Dass ein trauerndes junges Mädchen unter Druck geraten und
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