Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
genauso reagieren. Normalerweise liebt man doch den Menschen und nicht den Körper. Der Körper ist ja nichts weiter als eine Hülle, die älter wird und irgendwann stirbt. Du hast deine Großmutter so sehr geliebt, dass du auch Dinge wahrnehmen kannst, die weit jenseits der Bestattungsangelegenheiten liegen. Dadurch erweist du ihr meines Erachtens eine große Ehre.«
»Das hoffe ich.«
»Das weiß ich«, erwiderte Laurie. »Ich habe schon viele Leichen gesehen und viele Reaktionen von Familienangehörigen erlebt.«
Kurze Zeit später legte Jennifer auf. Sie bedankte sich beim Schicksal, dass sie überhaupt auf die Idee gekommen war, Laurie Montgomery anzurufen. Was für eine fantastische Vorstellung, dass Laurie vielleicht nach Indien kommen würde. Und dass sie sich so bereitwillig darauf eingelassen hatte, machte Jennifer erneut deutlich, was für ein Dreckskerl ihr Schönwetterfreund Neil McCulgan in Wirklichkeit war. Ein paar Sekunden lang drückte sie buchstäblich beide Daumen, damit Laurie und Jack Urlaub bekamen.
»Wir sind jetzt beim Hotel«, sagte der Fahrer. »Soll ich warten?«
Sie hatte bisher noch gar nicht daran gedacht, ihn warten zu lassen, aber da die Firma, die ihre Großmutter auf dem Gewissen hatte, das alles bezahlte, warum nicht? Schließlich musste sie ja irgendwann zurück in die Klinik. »Sie können warten oder Sie holen mich in ein paar Stunden wieder hier ab. Ich rufe Sie an, wenn ich wieder ins Queen Victoria Hospital muss.«
»Sehr wohl, Madam«, erwiderte der Fahrer.
Kapitel 12
Mittwoch, 17 Oktober 2007
1.15 Uhr
New York, USA
J ack!«, rief Laurie. »Aufwachen!«
Laurie hatte das Schlafzimmerlicht eingeschaltet, aus Rücksicht auf Jack allerdings so weit wie möglich heruntergedimmt. Da sie gerade eben noch im hell erleuchteten Arbeitszimmer vor dem Computer gesessen hatte, kam es ihr unglaublich dunkel vor.
»Komm schon, Schätzchen«, fuhr sie fort. »Aufwachen! Wir müssen uns unterhalten.«
Jack lag auf der Seite, das Gesicht zu Laurie gewandt. Sie hatte keine Ahnung, wie lange er schon schlief, vielleicht so an die zwei Stunden. Ihre Abende begannen für gewöhnlich mit einem leichten Abendessen, nachdem Jack sich auf dem Basketballfeld ausgetobt hatte. Während des Essens und vor dem Aufräumen sahen sie sich einen halben Film auf DVD an, die andere Hälfte dann am nächsten Abend. Gegen neun verzogen sie sich in der Regel in ihr gemeinsames Arbeitszimmer mit Blick auf die 106th Street, den Basketballplatz und den Rest des kleinen Parks, der mit Jacks Geld instand gesetzt und mit Laternen versehen worden war. Gegen zehn fing Jack jedes Mal unweigerlich an zu gähnen, gab Laurie einen flüchtigen Kuss auf den Scheitel und zog sich ins Bett zurück, angeblich, um zu lesen. Aber in Wirklichkeit war es damit nicht allzu weit her. Egal, wann Laurie den Kopf ins Schlafzimmer steckte, er war jedes Mal bereits eingeschlafen. Manchmal balancierte sogar noch ein Buch oder eine medizinische Fachzeitschrift auf seiner Brust, und die Nachttischlampe war eingeschaltet.
»Jack!«, rief Laurie noch einmal. Sie wusste, dass es schwer werden würde, ihn aufzuwecken, aber sie war fest dazu entschlossen. Irgendwann fing sie an, seine Schulter anzustupsen und schließlich daran zu rütteln. Er schlief trotzdem weiter. Laurie musste grinsen. Sein Schlaf war absolut olympiareif. Manchmal ärgerte sie sich zwar darüber, aber normalerweise beneidete sie ihn um diese Gabe. Laurie hatte einen sehr leichten Schlaf, der erst gegen Morgen, kurz vor dem Aufstehen, tief und fest wurde.
Laurie versetzte Jacks kräftiger Schulter noch einen letzten, festen Stoß und rief mit scharfer Stimme seinen Namen. Jetzt klappte er die Augen auf, erst das eine und dann das andere. »Wie viel Uhr ist es?«, erkundigte er sich heiser.
»So ungefähr Viertel nach eins, glaube ich. Wir müssen miteinander reden. Es ist was passiert.« Nach dem Telefonat mit Jennifer hatte Laurie sich zunächst gar nicht weiter um Jack gekümmert. Sie war davon ausgegangen, dass er schon schlief – zu Recht, wie sich herausgestellt hatte. Stattdessen hatte sie sich im Internet über Reisen nach Indien schlau gemacht und dabei eine Menge erfahren.
»Steht etwa das Haus in Flammen?«, wollte er mit dem üblichen Sarkasmus wissen.
»Nein. Sei doch mal ernst! Wir müssen uns unterhalten.«
»Und das hat nicht Zeit bis morgen Früh?«
»Könnte schon sein«, gestand Laurie, »aber ich wollte dich auf dem Laufenden
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