Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
das in einem Regenschirm versteckt war.«
»Aber natürlich. Das war Rizin. Vermuten Sie, in Ihrem Fall handelt es sich um eine Nachahmung des Verbrechens?«
Laurie nickte. Sie war beeindruckt, dass John sich nicht nur an den Fall erinnerte, sondern dass er sich sogar die giftigte Substanz, die benutzt worden war, gemerkt hatte. »In gewisser Weise glaube ich, dass jemand den Fall nachgeahmt hat.«
»Schlagen Sie also vor, wir sollten nach Rizin suchen?«
»Nein, ich glaube nicht, dass Rizin beteiligt war, weil das Opfer gekrampft hat, und das passiert nicht, wenn Rizin benutzt wird. Aber aufgrund der Überwachungsvideos weiß ich, dass einer der beiden Täter einen Regenschirm bei sich trug. Wegen des Gedränges auf dem Bahnsteig konnte ich nicht sehen, wie der Regenschirm eingesetzt wurde, aber nach dem Angriff, als das Opfer auf dem Betonboden lag, schien der eine Täter den Regenschirm ein Stück weit zu öffnen und ihn zu spannen, um ihn ganz schließen zu können. Mein Gefühl sagt mir, dass dieser Regenschirm eine Art Luftgewehr ist, so wie er auch bei dem Attentat in London benutzt wurde.«
»Wie sieht’s mit einer Eintrittswunde aus?«
»Gute Frage«, kommentierte Laurie. »Als ich die äußerliche Untersuchung heute wiederholte, habe ich eine gefunden. Es wäre zu peinlich, Ihnen zu erklären, warum ich sie gestern nicht gefunden habe. Es gibt eine kleine Einstichwunde an der Rückseite des Beins, wo Bein und Gesäß zusammenkommen.« Laurie hielt ihre Probe hoch. »Und das ist eine Blockprobe des ganzen Stichkanals, von dem ich glaube, dass er ungefähr zweieinhalb Zentimeter lang ist.«
»Perfekt«, antwortete John. Er griff sich die Flasche, hielt sie hoch und sah sich ihren Inhalt an. »Wenn die Substanz kein Rizin war, haben Sie eine Vermutung, um was es sich dann handeln könnte?«
»Tatsächlich habe ich die: Ich glaube, es könnte Tetrodotoxin sein.«
John riss sich vom Anblick der Flasche los und verlagerte seine Aufmerksamkeit auf Laurie. »Haben Sie einen speziellen Grund, Tetrodotoxin zu vermuten?«
»Erstens denke ich, dass es sich um ein Nervengift handeln muss«, sagte Laurie. »Das Gift löste einen Krampf aus. Nur einen kurzen, aber er war da. Das wissen wir von der Person, die den Notruf gemacht hat, und weil ich es auf den Überwachungsvideos gesehen habe. TTX kann Krämpfe verursachen, wenn es in den Körper injiziert wird. Als ich heute Mittag über Neurotoxine nachgelesen habe, habe ich kein anderes Gift gefunden, das krampfauslösend ist. Zweitens wird das Gift regulär hergestellt, so dass es problemlos verfügbar ist. Und drittens – das ist der am wenigsten wissenschaftliche Grund – bin ich mir sicher, dass mein Patient Japaner ist, und die Japaner haben eine lange Tradition, was gerade dieses Gift betrifft, dank ihrer Kugelfische.«
»Das klingt vielversprechend«, sagte John mit einem Lachen. »Naja, bis auf den letzten Teil.«
»Kommen wir nun zur Neunundneunzig-Dollar-Frage: Wann können wir den Test machen?«
»Warum überrascht mich das bloß nicht?«, entgegnete John und warf in gespieltem Entsetzen die Hände hoch. »Ich nehme an, Sie wollen das Ergebnis morgen haben, weil Sie hier ja die einzige Gerichtsmedizinerin sind und wir hier sowieso nur herumsitzen und Däumchen drehen.«
»Ich hätte das Ergebnis gerne heute«, sagte Laurie lächelnd. »Es wäre nachher sozusagen das Sahnehäubchen auf meiner Präsentation!«
John warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Ich nehme an, ich kann Sie niemals zufriedenstellen. Sie haben es immer so eilig. Aber sagen Sie mir eins: Sie haben gerade das Pronomen wir benutzt, als Sie nach dem Test fragten. War das ein buchstäbliches wir oder ein bildliches?«
»Ein buchstäbliches«, antwortete Laurie ohne zu zögern. »Ich war eine ziemlich geschickte Laborarbeiterin – auf dem College und in Biochemie während des Studiums. Wenn einer Ihrer Mitarbeiter oder Sie selbst mir ab und zu einen Tipp geben könnten, dann werde ich mich da schon durchkämpfen können. Sobald ich den Rest der histologischen Objektträger durchgesehen habe, steht nichts mehr auf meinem Nachmittagsplan.«
John betrachtete Laurie einen Moment lang und überlegte, ob es gut war, einen Amateur auf sein Labor loszulassen, oder ob das hieß, ein Desaster loszutreten. Für sein Einverständnis, sie am Nachmittag bei sich arbeiten zu lassen, sprach, dass er sie mochte und ihre Begeisterung und Leidenschaft respektierte und die Tatsache, dass sie
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