Montgomery u Stapleton 01 - Blind
wollte er sie etwas fragen, brächte es aber nicht über die Lippen. "Ich gehe nach oben und trinke einen Kaffee", sagte sie. "Trinken Sie noch einen mit, bevor Sie gehen?"
"Hört sich gut an", erwiderte Lou ohne zu zögern.
Oben in der Kantine landeten sie am selben Tisch, an dem sie schon vorher gesessen hatten. Laurie konnte nicht verstehen, warum der selbstsichere Lou plötzlich so fahrig und linkisch war.
Sie sah ihm zu, als er die Zigaretten und Streichhölzer herausholte und sich umständlich Feuer gab.
"Rauchen Sie schon lange?" fragte Laurie, nur um etwas zu sagen.
"Seit ich zwölf bin", antwortete Lou. "In meinem Viertel tat man das." Er schüttelte das Streichholz aus und machte einen tiefen Zug.
"Haben Sie je daran gedacht, aufzuhören?" fragte Laurie.
"Selbstverständlich", erwiderte Lou. Er blies den Rauch über seine Schulter. "Es ist ganz einfach, aufzuhören. Ich mache es seit einem Jahr jede Woche. Aber Spaß beiseite, ich möchte wirklich davon wegkommen. Aber es ist sehr schwer in der Zentrale. Da rauchen fast alle."
"Tut mir leid, daß wir bei DePasquale nichts Besonderes entdeckt haben", sagte Laurie.
"Vielleicht hilft uns die Kugel irgendwie weiter", meinte Lou. Er legte die Zigarette auf den Rand des Aschenbechers und versuchte, sie ins Gleichgewicht zu bringen. "Die Ballistiker sind findige Leute. Au!" Lou zog die Hand vom Aschenbecher zurück. Er hatte sich den Finger an der Zigarette verbrannt.
"Stimmt was nicht, Lou?" fragte Laurie.
"Alles okay", antwortete Lou etwas zu schnell. Er versuchte es erneut und hatte diesmal Erfolg, seine Zigarette zu angeln.
"Sie scheinen sich über irgend etwas aufzuregen", meinte Laurie.
"Hab eine Menge um die Ohren", wiegelte er ab. "Aber eins würde ich Sie doch gern fragen. Sind Sie verheiratet?"
Laurie lächelte unwillkürlich und schüttelte den Kopf. "Das ist aber ein Sprung."
"Stimmt", pflichtete Lou bei.
"Und unter diesen Umständen auch nicht sehr professionell", fuhr Laurie fort.
"Auch da kann ich nicht widersprechen", räumte Lou ein.
Laurie machte eine Pause, als trüge sie einen kleinen Kampf mit sich aus. "Nein", sagte sie schließlich. "Ich bin nicht verheiratet."
"Wenn das so ist
", sagte Lou, nach Worten suchend, "vielleicht könnten wir dann mal essen gehen."
"Ich fühle mich geschmeichelt, Lieutenant Soldano", sagte Laurie etwas verlegen. "Aber normalerweise halte ich Privatleben und Arbeit streng getrennt."
"Ich auch", versicherte Lou.
"Was, wenn ich sage, vielleicht, und darüber nachdenke?"
"Fein", sagte Lou. Laurie merkte, daß er es bedauerte, sie gefragt zu haben. Er stand abrupt auf. Laurie erhob sich ebenfalls, doch Lou forderte sie mit einer Handbewegung auf, sitzen zu bleiben. "Trinken Sie Ihren Kaffee zu Ende. Ich kann bestätigen, daß Sie eine Pause brauchen, glauben Sie mir. Lassen Sie von sich hören." Lou hob die Hand und ging. An der Tür drehte er sich noch einmal um und winkte.
Laurie erwiderte den Gruß, dann war Lou ihren Blicken entschwunden. Er war wirklich ein bißchen wie Columbo: etwas tolpatschig, aber intelligent. Gleichzeitig hatte er etwas Ungezwungenes, Natürliches, eine erfrischende Direktheit, was ihr sehr gefiel. Außerdem schien er sich einsam zu fühlen.
Sie trank ihren Kaffee aus, stand auf und streckte sich. Als sie die Kantine verließ, wurde ihr bewußt, daß Lou sie auch ein wenig an ihren Hin-und-wieder-Freund Sean Mackenzie erinnerte. Ihre Mutter würde Lou zweifellos genauso unpassend finden. Laurie fragte sich, ob sie sich zum Teil auch deshalb zu diesem Typen hingezogen fühlte, weil sie wußte, daß ihre Eltern nicht einverstanden sein würden. Falls das stimmte, wurde es wirklich Zeit, von dieser Aufsässigkeit endlich loszukommen.
Laurie drückte den Ab-Knopf am Aufzug, als ihr einfiel, daß sie ganz vergessen hatte, Lou ebenfalls zu fragen, ob er verheiratet sei. Sie beschloß, das nachzuholen, wenn er anrufen würde. Sie sah auf die Uhr. Sie war gut vorangekommen: Nur noch eine Autopsie, und es war noch nicht einmal Mittag.
Laurie prüfte noch einmal die Anschrift, die sie auf ein Stück Papier gekritzelt hatte, dann blickte sie an dem imponierenden Wohnhaus auf der Fifth Avenue hoch. Es lag zwischen der 74th und 76th Street direkt am Central Park. Über dem Eingang spannte sich eine mit Langetten verzierte Markise aus blauem Segeltuch, die bis zur Straßenkante reichte. Ein livrierter Portier stand wartend hinter der schmiedeeisernen, verglasten Tür.
Als
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