Montgomery u Stapleton 01 - Blind
ihnen lieber, als wenn sie Paul Cerino damit in Verbindung bringen könnten."
"Wie gräßlich!" sagte Dorothy voller Verachtung. "Laurie, das reicht! Reden wir von etwas anderem."
"Das ist kaum das richtige Thema für eine Unterhaltung bei Tisch", bekräftigte Sheldon. Zu Jordan gewandt, fuhr er fort: "Sie müssen meine Tochter entschuldigen. Seit sie ihre ärztliche Karriere aufgegeben hat und in die Pathologie gegangen ist, hat sie ein bißchen das Gefühl für Etikette verloren."
"Pathologie?" fragte Jordan ungläubig. Er blickte zu Laurie hinüber. "Sie haben mir gar nicht erzählt, daß Sie Pathologin sind."
"Sie haben mich nicht gefragt", erwiderte Laurie. Sie lächelte innerlich, denn Jordan war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, über sich selbst zu reden, um sie nach ihrem Leben zu fragen.
"Genau gesagt, bin ich Gerichtspathologin und arbeite gegenwärtig im Gerichtsmedizinischen Institut von New York City."
"Wie wäre es, wenn wir uns über die diesjährige Saison im Lincoln Center unterhielten?" schlug Dorothy vor.
"Ich weiß kaum was über Gerichtsmedizin", sagte Jordan. "Wir hatten auf der Uni nur zwei Vorlesungen darüber, und vorher sagte man uns, daß es kein Prüfungsfach sei. Und nun raten Sie mal, was ich gemacht habe?" Jordan tat so, als schliefe er ein, schnarchte und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
Sheldon lachte über Jordans Späßchen. "Wir hatten nur eine Vorlesung, und die habe ich geschwänzt", gestand er.
"Ich meine, wir sollten das Thema wechseln", sagte Dorothy.
"Das Problem bei Laurie ist", sagte Sheldon zu Jordan, "daß sie nicht in die Chirurgie gegangen ist, wo sie mit Lebenden zu tun gehabt hätte. Wir haben eine junge Ärztin in der Thorakotomie, sie arbeitet hervorragend, ebenso gut wie ein Mann. Laurie hätte auch so gut werden können."
Laurie mußte ihre ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um die dümmliche, sexistische Bemerkung ihres Vaters nicht heftig zu attackieren. Statt dessen verteidigte sie ruhig ihr Fach. "Die Gerichtsmedizin hat sehr viel mit den Lebenden zu tun, und zwar in dem sie für die Toten spricht." Sie erzählte die Geschichte mit dem Lockenstab und daß die Kenntnis der Ursache dieses Todesfalls einem anderen Menschen vielleicht das Leben retten konnte.
Ein unbehagliches Schweigen trat ein. Alle schauten vor sich auf den Tisch und spielten mit dem Besteck oder Geschirr. Sogar Jordan schien seltsam befangen. Schließlich brach Dorothy das Schweigen mit der Ankündigung, daß im Wohnzimmer der Nachtisch und der Cognac warteten.
Erleichtert begab sich alles in den anderen Raum, aber Laurie hatte der Zwischenfall so aufgeregt, daß sie sich mit dem Gedanken trug, aufzubrechen. Als sie sah, daß die anderen sich unbeschwert weiter unterhielten, überlegte sie, ob sie ihre Mutter beiseite nehmen und sich mit einem bevorstehenden anstrengenden Tag entschuldigen sollte. Aber noch bevor sie sich entschließen konnte, tauchte neben ihr diskret ein Mädchen auf, das für den Abend engagiert worden war, und hielt ihr ein Tablett mit Cognacschwenkern hin. Laurie nahm ein Glas und kehrte der Gruppe den Rücken zu. Sie ging durch die Diele in das Arbeitszimmer.
"Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mitkomme?" Jordan war ihr vom Wohnzimmer gefolgt.
"Überhaupt nicht", sagte Laurie ein wenig überrascht. Sie hatte gedacht, ihr Verschwinden sei nicht bemerkt worden. Sie setzte sich in einen ledernen Clubsessel, während Jordan sich lässig an einen stabilen Fernseher lehnte. Gedämpftes Lachen drang aus dem Wohnzimmer zu ihnen.
"Ich hatte nicht die Absicht, mich über Ihr Fachgebiet lustig zu machen", sagte er. "Ich finde Pathologie im Gegenteil faszinierend."
"Wirklich?"
"Die Geschichte mit dem Lockenstab hat mich sehr interessiert", fuhr er fort. "Ich hatte keine Ahnung, daß man von solchen Dingern einen tödlichen Schlag kriegen kann, außer wenn sie in die Wanne fallen, während man ein Bad nimmt."
"Das hätten Sie zur rechten Zeit sagen sollen." Laurie wußte, daß sie unhöflich war, aber sie hatte gerade jetzt keine besonders gastfreundlichen Anwandlungen.
Jordan nickte. "Tut mir leid", sagte er. "Ich war wohl etwas gehemmt durch Ihre Eltern. Sie scheinen nicht gerade begeistert über Ihre Berufswahl."
"Ist das so offensichtlich?"
"Allerdings", sagte Jordan. "Ich habe meinen Ohren nicht getraut, als Ihr Vater diese Bemerkung über die Frau in der Thorakotomie machte. Und Ihre Mutter hat die ganze Zeit versucht, das Gesprächsthema zu
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