Montgomery u Stapleton 01 - Blind
Beliebtheit gaukelt den Leuten ein falsches Gefühl der Sicherheit vor. Aber wie auch immer, wir müssen die Familie benachrichtigen. Haben Sie die Telefonnummer?"
Benommen von Duncans Tod und der Enthüllung, daß er offenbar Kokain genommen hatte, nannte Sara monoton und wie abwesend die Nummer der Andrews. Der Gedanke an Drogen drängte alle anderen Gedanken zurück. Sie fragte sich, wie lange Duncan wohl Kokain genommen hatte. Es war so schwer zu begreifen, sie hatte geglaubt, ihn wirklich gut zu kennen.
1
November. Montag, 6.45 Uhr
New York City
Das Schrillen des Weckers riß Laurie Montgomery jedesmal aus tiefem Schlaf. Obwohl sie die Uhr seit dem ersten Collegejahr besaß, hatte sie sich nie an das schreckliche Rasseln gewöhnen können. Es ließ sie jedesmal hochfahren und augenblicklich nach dem verfluchten Ding schlagen, als hinge ihr Leben davon ab, den Wecker so schnell wie möglich zum Schweigen zu bringen.
Dieser verregnete Novembermorgen machte keine Ausnahme. Als sie die Uhr auf die Fensterbank zurückstellte, fühlte sie ihr Herz klopfen. Es war der Adrenalinstoß, der diese tägliche Episode so erfolgreich machte. Selbst wenn sie noch einmal ins Bett hätte gehen können, sie wäre nie mehr eingeschlafen. Und genauso war es bei Tom, ihrer anderthalb Jahre alten, gelbbraun getigerten Katze, die beim Rasseln des Weckers in die hinterste Ecke des Zimmers geflohen war.
Ergeben fügte Laurie sich in den Beginn eines neuen Tages, stand auf, schlüpfte in ihre Lammfellpantoffeln und stellte den Fernseher an, um die Morgennachrichten zu hören.
Ihre Wohnung war ein kleines Zweizimmerapartment in der 19th Street zwischen First und Second Avenue in einem sechsgeschossigen Wohnhaus. Ihre Zimmer lagen im vierten Stock auf der Rückseite. Die beiden Fenster gingen auf ein Labyrinth aus überwucherten Höfen.
In ihrer winzigen Küche stellte sie die Kaffeemaschine an. Am Abend hatte sie schon den Kaffee und die richtige Menge Wasser eingefüllt. Während der Kaffee durchlief, trottete sie ins Bad und betrachtete sich im Spiegel.
"Huh!" machte sie, als sie das Gesicht hin und her drehte und die Spuren einer weiteren Nacht mit zuwenig Schlaf prüfte. Ihre Augen waren verquollen und gerötet. Laurie war kein Morgentyp. Sie war eine ausgesprochene Nachteule und las häufig bis in die Puppen. Sie las für ihr Leben gern, ob das Buch ein schwerer pathologischer Text oder ein beliebter Bestseller war. Was Romane anging, interessierte sie einfach alles. Die Regale waren vollgestopft mit Thrillern, romantischen Liebeserzählungen und Familienromanen, aber auch Sachbüchern über Naturwissenschaften und Psychologie. Gestern abend war es ein Kriminalroman gewesen, und sie hatte gelesen, bis sie das Buch durchhatte. Sie hatte nicht den Mut gehabt, auf die Uhr zu sehen. Wie üblich, schwor sie sich am Morgen, nie mehr so lange aufzubleiben.
Unter der Dusche ordneten sich Lauries Gedanken so weit, daß sie sich mit den Problemen befassen konnte, die sie an diesem Tag würde angehen müssen. Sie arbeitete seit fast fünf Monaten im Gerichtsmedizinischen Institut von New York City. Am letzten Wochenende hatte sie Bereitschaftsdienst gehabt, also Samstag und Sonntag arbeiten müssen. Sie hatte sechs Autopsien durchgeführt: drei am ersten Tag, drei am nächsten. Einige Fälle erforderten weitere Untersuchungen, bevor sie abgeschlossen werden konnten, und sie stellte in Gedanken eine Liste zusammen, was im einzelnen zu tun war.
Laurie trat aus der Dusche und trocknete sich kräftig ab. Über eins war sie froh: daß sie heute einen "Papiertag" hatte, also keine neuen Autopsien zugewiesen bekam. Sie würde Zeit haben, die notwendigen Berichte zu den Autopsien zu schreiben, die sie bereits vorgenommen hatte. Gegenwärtig wartete sie auf das Material zu etwa zwanzig Fällen entweder aus dem Labor, von Ermittlern des Instituts, örtlichen Krankenhäusern, Ärzten oder der Polizei. Diese Papierlawine drohte sie ständig zu erdrücken.
In der Küche goß sie sich den Kaffee ein. Die Tasse in der Hand, ging sie wieder ins Bad, um Make-up aufzulegen und die Haare zu fönen. Die Haare brauchten immer die meiste Zeit. Sie waren dick und lang und von einem Kastanienbraun mit rötlichem Schimmer, das sie einmal im Monat mit Henna auffrischte. Laurie war stolz auf ihr Haar. Nach ihrer Überzeugung war es das Attraktivste an ihr. Ihre Mutter redete ihr immer zu, es abzuschneiden, doch Laurie liebte es lang bis über
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