Montgomery u Stapleton 01 - Blind
sofort, wen er suchte: Paul Cerino. Im Restaurant aßen noch ein paar Gäste, da die Küche bis um elf Uhr geöffnet war, aber die meisten waren schon gegangen. Es war ein guter Ort und eine gute Zeit für ein Treffen.
Vinnie schlenderte zu Pauls Tisch hinüber, mit der Gelassenheit eines Mannes, der sich mit einem guten alten Freund trifft. Freddie und Richie folgten im Abstand von ein paar Schritten. Als Vinnie den Tisch erreichte, standen die beiden Männer, die bei Paul saßen, auf. Vinnie erkannte sie wieder: Angelo Facciolo und Tony Ruggerio.
"Wie gehts dir, Paul?" fragte Vinnie.
"Kann nicht klagen", antwortete Paul. Er reichte Vinnie die Hand.
"Setz dich doch, Vinnie", forderte er ihn auf. "Einen Schluck Wein? Angelo, gieß ihm ein Glas ein."
Während Vinnie sich setzte, griff Angelo zu einer offenen Flasche Brunello, die auf dem Tisch stand, füllte ein Glas und stellte es vor Vinnie.
"Ich möchte dir danken, daß du einverstanden warst, dich mit mir zu treffen", sagte Vinnie. "Nach dem, was in letzter Zeit passiert ist, betrachte ich das als ein besonderes Entgegenkommen."
"Als du gesagt hast, es sei wichtig und betreffe die Familie, wie hätte ich da nein sagen können?"
"Zuerst einmal möchte ich dir sagen, wie sehr mich die Sache mit deinen Augen betrübt", begann Vinnie. "Es war eine schreckliche Tragödie und hätte nie passieren dürfen. Und ich schwöre dir vor all diesen Männern beim Grab meiner Mutter, daß ich nichts davon gewußt habe. Die Strolche haben das auf eigene Faust gemacht."
Es entstand eine Pause. Niemand sagte etwas. Schließlich sprach Cerino: "Was hast du sonst noch auf dem Herzen?"
"Ich weiß, daß deine Leute Frankie und Bruno umgelegt haben", sagte Vinnie. "Und obwohl wir das wissen, haben wir nicht zurückgeschlagen. Und wir werden auch nicht zurückschlagen.. Warum? Weil Frankie und Bruno bekommen haben, was sie verdienten. Sie haben auf eigene Faust gehandelt. Sie haben gegen die Disziplin verstoßen. Und wir schlagen auch deshalb nicht zurück, weil es wichtig ist, daß wir beide gut miteinander auskommen. Ich will keinen Krieg. Das macht nur die Behörden mobil. Und es schadet unseren Geschäften."
"Und woher weiß ich, daß ich diesem Friedensangebot trauen kann?" fragte Cerino.
"Ich komme in ehrlicher Absicht", antwortete Vinnie. "Würde ich dich um ein solches Treffen an einem Ort deiner Wahl bitten, wenn ich es nicht ernst meinte? Außerdem, als weiteren Beweis für meinen Wunsch, die Sache beizulegen, bin ich bereit, dir zu sagen, wo Jimmy Lanso sich versteckt, der vierte und letzte von den Burschen."
"Wirklich?" fragte Cerino. Zum erstenmal im Verlauf der Unterhaltung zeigte er sich überrascht. "Und wo wäre das?"
"In der Leichenhalle seines Vetters. Bestattungsinstitut Spoletto in Ozone Park."
"Ich weiß deine Offenheit sehr zu schätzen", sagte Paul. "Aber ich habe das Gefühl, daß da noch was ist."
"Ich möchte dich um einen Gefallen bitten", sagte Vinnie. "Ich möchte dich als Kollegen bitten, mir entgegenzukommen. Ich möchte dich bitten, Jimmy Lanso zu verschonen. Er gehört zur Familie. Er ist ein Neffe des Mannes der Schwester meiner Frau. Ich werde dafür sorgen, daß der Bursche bestraft wird, aber ich möchte dich als Freund bitten, ihn nicht umzulegen."
"Ich werde mir das auf jeden Fall ernsthaft überlegen", sagte Paul.
"Danke", erwiderte Vinnie. "Wir sind schließlich zivilisierte Menschen. Junge Burschen können Fehler machen. Du und ich, wir hatten unsere Meinungsverschiedenheiten, aber wir respektieren uns und kennen unsere gemeinsamen Interessen. Ich bin sicher, daß du das alles bedenken wirst."
"Ich werde alles berücksichtigen", sagte Paul.
Vinnie stand auf und verließ das Restaurant.
Paul hob sein Weinglas und trank einen Schluck. "Angelo", rief er über die Schulter, "hat Vinnie eigentlich sein Glas angerührt?"
"Nein", antwortete Angelo.
"Ich habe es auch nicht erwartet", sagte Paul. "Und so was nennt sich zivilisiert."
"Was ist mit Jimmy Lanso?" fragte Angelo.
"Umlegen", befahl Cerino. "Fahr mich nach Hause, und dann tu es."
"Und wenn es eine Falle ist?" fragte Angelo. Paul nippte wieder an seinem Glas. "Das bezweifle ich sehr", sagte er. "Vinnie würde nicht lügen, wenn es um die Familie geht."
Angelo gefiel die Sache gar nicht. Beim Gedanken an eine Leichenhalle überlief es ihn kalt. Außerdem glaubte er nicht, daß Vinnie Dominick die Wahrheit sagte, ob es nun um die Familie oder um Geschäfte ging. Nach
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