Montgomery u Stapleton 01 - Blind
seiner Meinung war die Wahrscheinlichkeit groß, daß dies eine Falle war, auch wenn Cerino anders darüber dachte. Und wenn es eine Falle war, würde es gefährlich werden, in das Bestattungsinstitut Spoletto einzusteigen. Angelo kam zu dem Schluß, daß dies eine gute Gelegenheit wäre, Tony den Vortritt zu lassen. Tony war tatendurstig, er würde sich bestimmt freuen. Seit einem Jahr beschwerte er sich, daß er nie etwas allein machen durfte.
"Was meinst du, Tony?" fragte Angelo, als sie gegenüber der Leichenhalle parkten. Es war ein ziemlich großes weißes, mit Schindeln verkleidetes Gebäude mit griechischen Säulen, die ein kleines Portal trugen.
"Sieht gut aus", sagte Tony. Seine Augen funkelten vor Erregung.
"Meinst du nicht, es ist ein bißchen unheimlich?" fragte Angelo.
"Ach was", erwiderte Tony. "Der Vetter von meinem Onkel hatte ein Bestattungsinstitut. Ich hab sogar einen Sommer da gearbeitet, als ich einen Job für die Bewährungskommission brauchte. Die Arbeit ist zwar nicht das Übliche, aber für das, was wir vorhaben, ist es, glaub ich, ganz gut. Wir legen ihn um, sie balsamieren ihn ein. Alles unter einem Dach." Tony lachte. "Verstehst du?"
"Natürlich versteh ich", erwiderte Angelo ärgerlich.
"Komm, gehn wir", drängelte Tony. "Ich sehe hinten Licht brennen. Da wird Lanso sich wahrscheinlich verstecken."
"Du sagst, du hast mal in einem Bestattungsinstitut gearbeitet?" fragte Angelo, während er die Gegend nach verdächtigen Anzeichen absuchte.
"Ungefähr zwei Monate", sagte Tony.
"Da du dich in so einem Laden auskennst, gehst du vielleicht am besten zuerst rein." Er hoffte, es hörte sich so an, als wäre die Idee ihm gerade erst jetzt gekommen. "Sobald du Lanso in der Falle hast, machst du das Licht an und aus. Ich seh mich hier inzwischen etwas um und paß auf, daß da nichts faul ist."
"Hört sich toll an", sagte Tony. Dann war er verschwunden.
Jimmy Lanso erhob sich von der Liege, ging zu dem kleinen Fernseher hinüber und drehte den Ton ab. Er meinte, wieder ein Geräusch gehört zu haben wie schon in den vergangenen Nächten. Er lauschte angespannt, hörte aber nichts außer dem eigenen hämmernden Herzen und einem leichten Klingeln in den Ohren, das von den vielen Aspirins herrührte, die er schon geschluckt hatte. Da er bis auf ein paar kurze Augenblicke seit etwa sechzig Stunden nicht geschlafen hatte, war er ein einziges Nervenbündel. Er hielt sich in dem Bestattungsinstitut versteckt, seit er und Bruno ihre Bude in Woodside aufgegeben hatten, nachdem Frankie nicht zurückgekommen war und auch nicht angerufen hatte.
Der letzte Monat war für Jimmy ein Alptraum gewesen. Seit dem blöden Säureattentat lebte er in ständiger Angst. Bis dieses miese Ding so erbärmlich ausging, war er überzeugt gewesen, daß die Rolle, die er dabei spielte, ihm den Aufstieg sichern würde. Statt dessen schien er sich sein eigenes Grab geschaufelt zu haben. Den ersten Schock hatte er erlebt, als Terry Manso bei dem Versuch, zum Wagen zu rennen, erschossen worden war. Und inzwischen hatte er erfahren, daß man Frankie und auch Bruno aus dem East River gefischt hatte. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würden sie auch ihn kriegen.
Jimmys einzige Hoffnung war, daß sein Onkel mit Vinnie Dominick gesprochen hatte, seinem angeheirateten Schwager, und Vinnie zugesagt hatte, sich der Sache anzunehmen. Aber bevor er nicht erfuhr, daß alles o. k. war, konnte er keine Sekunde abschalten.
Jimmy hörte ein schwaches Rumpeln im Einbalsamierungsraum. Das war nicht seine Phantasie gewesen. Da er den Ton des Fernsehers abgestellt hatte, war das sonnenklar. Er erstarrte und lauschte, ob er das Geräusch noch einmal hören würde. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Als es ruhig blieb, brachte er den Mut auf, hinüber zur Tür des Abstellraums zu gehen, in dem er sich versteckt hielt, und nachzusehen.
Jimmy öffnete die Tür so geräuschlos wie möglich und ließ den Blick langsam durch den unbeleuchteten Einbalsamierungsraum wandern. An einer Wand waren mehrere hohe Fenster, die etwas Licht von einer Straßenlampe hereinließen, aber der größte Teil des Raums lag im Dunkeln. Jimmy bemerkte die beiden in Tücher gehüllten Leichen, die sein Vetter am Abend einbalsamiert hatte. Sie lagen auf fahrbaren Tischen, die an der Wand gegenüber den Fenstern standen. Die weißen Laken schienen in dem dämmrigen Licht zu leuchten. In der Mitte des Raums stand der Einbalsamierungstisch, von dem
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