Montgomery u Stapleton 02 - Das Labor
wolle. Gloria hatte nichts dagegen. Er empfahl ihr dringend, im Manhattan General bei Dr. Zimmerman anzurufen und ihr mitzuteilen, daß es ihr ziemlich schlecht gehe. »Kann sie denn etwas für mich tun?« fragte Gloria. »Sie könnte Ihnen und Ihrer Familie ein spezielles Medikament verordnen«, erwiderte Jack. Soweit er wußte, vermochte Rimantadin einer Grippe nicht nur vorzubeugen - wenn man das Medikament früh genug einnahm, konnte es auch den Verlauf einer bereits ausgebrochenen Krankheit positiv beeinflussen. Es war bekannt, daß Rimantadin zumindest in fünfzig Prozent der Fälle die Heilung zu beschleunigen und die Symptome zu lindern vermochte. Allerdings war das Medikament ziemlich teuer, und wie Jack AmeriCare kannte, wurden kostspielige Arzneimittel nur im äußersten Notfall verabreicht.
Er verließ die Wohnung von Gloria Hernandez und ging in Richtung Broadway, wo er sich ein Taxi nehmen wollte. Zusätzlich zu der Panik, die ihm noch immer in den Knochen steckte, fühlte er sich nun auch noch ziemlich entmutigt. Außer daß er sich den Influenzaviren ausgesetzt hatte, hatte der Besuch bei Gloria ihm nichts gebracht.
Es war bereits später Nachmittag, als Jack vor dem Gerichtsmedizinischen Institut aus dem Taxi stieg. Erschöpft und ziemlich niedergeschlagen betrat er das Gebäude und ließ sich die Tür zum ID-Bereich öffnen. Dort glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. In einem der kleinen Räume, in denen die Familienangehörigen ihre Toten zu identifizieren pflegten, sah er David sitzen. David sah ihn ebenfalls, und für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke. Jack erschrak. Aus Davids Augen sprachen Wut und Verachtung.
Er widerstand dem Drang, zu David hinüberzugehen, und begab sich statt dessen direkt hinunter in die Leichenhalle. Während er über den kahlen Zementboden an den Kühlfächern entlangging, verursachten seine Schritte ein lautes Echo. Angst schnürte ihm die Kehle zu. Was würde er nun wieder vorfinden? In der Halle stand, direkt unter dem gleißenden Licht einer Deckenleuchte, eine einzelne Rollbahre, auf der eine neue Leiche lag. Das Leichentuch war so arrangiert, daß nur das Gesicht des Toten zu erkennen war. Es sollte mit einer Polaroidkamera fotografiert werden. Anhand solcher Fotos identifizieren die Familien normalerweise ihre Toten; man hielt es für humaner, den trauernden Angehörigen Fotos vorzulegen, als sie mit den verstümmelten Körpern ihrer Hinterbliebenen zu konfrontieren. Entsetzt blickte Jack in das friedliche Gesicht von Slam; ihm erstarrte das Blut in den Adern. Mit den geschlossenen Augen sah Slam fast so aus, als schliefe er. Jetzt, da er tot war, wirkte er noch jünger. Jack hätte ihn höchstens auf vierzehn geschätzt. Fassungslos begab Jack sich in sein Büro. Zum Glück war Chet nicht da. Er knallte die Tür zu, setzte sich an seinen Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände. Er hätte laut losheulen können, doch selbst dafür war er zu deprimiert. Ihm war klar, daß er indirekt schon wieder für den Tod eines Menschen verantwortlich war.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Zunächst ignorierte Jack das Klopfen und hoffte, daß der ungebetene Gast wieder verschwinden würde. Doch dann pochte es noch einmal. Ungehalten bat er den hartnäckigen Störenfried herein.
Es war Laurie, die zögernd die Tür öffnete. »Ich will dich wirklich nicht stören«, entschuldigte sie sich. Sie spürte sofort, daß Jack mit den Nerven am Ende war. An seinem Blick sah sie, daß ihn irgend etwas völlig aus der Fassung gebracht haben mußte. »Was willst du?«
»Ich wollte dir nur sagen, daß ich gerade mit Detective Soldano gesprochen habe. Darum hattest du mich doch gebeten.« Sie kam an seinen Schreibtisch und schob ihm einen Zettel mit Lous Telefonnummer zu. »Er erwartet deinen Anruf.«
»Danke, Laurie«, sagte Jack. »Aber im Augenblick ist mir nicht danach, mit irgend jemandem zu sprechen.«
»Er könnte dir bestimmt helfen«, fuhr Laurie unbeirrt fort. »Er hat…«
»Laurie!« unterbrach Jack sie in scharfem Ton und fügte dann etwas freundlicher hinzu: »Laß mich jetzt bitte allein.«
»Natürlich.« Sie schloß die Tür hinter sich und starrte sie ein paar Sekunden lang ratlos an. Was war bloß mit Jack? So hatte sie ihn noch nie gesehen. Von seiner lockeren, eigenwilligen und scheinbar sorgenfreien Art war nichts mehr zu spüren. Sie stürmte zurück in ihr eigenes Büro und rief sofort bei Lou an. »Dr. Stapleton ist vor ein
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