Montgomery u Stapleton 03 - Chromosom 6
Hüften. »Würdest du uns das vielleicht erklären?«
»Das ist nicht so einfach«, erwiderte Kevin ausweichend.
»Versuch es wenigstens«, forderte Melanie ihn auf.
»Wenn ich den Mann besuche, werde ich unweigerlich an Dinge erinnert, die ich lieber vergessen möchte«, erklärte Kevin. »Zum Beispiel daran, was dem anderen Patienten widerfahren ist.«
»Meinst du sein Double?« hakte Melanie nach. »Den Bonobo?« Kevin nickte. Seine Wangen waren stark gerötet, fast so wie beim Mittagessen.
»Du scheinst die Tierschutzproblematik ja noch ernster zu nehmen als ich«, bemerkte Candace.
»Ich fürchte, meine Sorgen gehen weit über den Tierschutz hinaus«, sagte Kevin.
Für ein paar Sekunden herrschte gespannte Stille. Melanie sah Candace an, doch die zuckte nur mit den Schultern. Sie wußte nicht, was sie dazu sagen sollte.
»Okay«, ergriff Melanie schließlich entschlossen das Wort. »Jetzt reicht’s.« Dann legte sie Kevin ihre Hände auf die Schultern und drückte ihn sanft hinunter auf seinen Laborhocker. »Bis heute nachmittag dachte ich, wir wären nur Kollegen«, begann sie und beugte sich so weit zu Kevin hinab, daß sie ihn mit ihrem scharfgeschnittenen Gesicht fast berührte. »Inzwischen sehe ich das allerdings ein bißchen anders. Seitdem ich dich etwas näher kennengelernt habe, worüber ich mich übrigens wirklich gefreut habe, halte ich dich nicht mehr für einen frostigen, reservierten, intellektuellen Snob. Ich denke, wir sind jetzt Freunde. Sehe ich das richtig?«
Kevin nickte. Er war gezwungen, Melanie direkt in ihre schwarzen Augen zu sehen.
»Freunde reden miteinander«, fuhr Melanie fort. »Sie tauschen sich aus. Sie verbergen voreinander nicht ihre Gefühle, und sie verbreiten untereinander keine unbehagliche Stimmung. Verstehst du, worauf ich hinauswill?«
»Ich glaube schon«, erwiderte Kevin. Es war ihm noch nie in den Sinn gekommen, daß andere sich aufgrund seines Verhaltens womöglich unbehaglich fühlen könnten. »Glaubst du, daß du mich verstanden hast - oder hast du mich verstanden?« fuhr Melanie mit ihrer Attacke fort. Kevin schluckte.
»Ich habe dich verstanden.«
Melanie verdrehte frustriert die Augen. »Du weichst einem ständig aus. Das treibt mich noch zum Wahnsinn. Aber okay, damit kann ich leben. Mit deinem Ausbruch von heute mittag ist das allerdings eine andere Sache. Als ich dich gefragt habe, was los ist, hast du vage etwas davon gefaselt, du hättest irgendeine ›Grenze überschritten‹. Danach war nichts mehr aus dir herauszubekommen. Und warum? Weil du unfähig bist, über deine Sorgen zu reden. Aber was auch immer dir auf der Seele liegt - du kannst es nicht auf Dauer in dich hineinfressen! Erstens tust du dir damit selbst keinen Gefallen, und zweitens setzt du deine Freundschaften aufs Spiel!« Candace nickte zustimmend.
Kevin ließ seinen Blick zwischen den beiden offenen, hartnäckigen Frauen hin und her schweifen. Es widerstrebte ihm zwar, seine Ängste auszusprechen, doch im Moment hatte er das Gefühl, gar keine andere Wahl zu haben. Melanie war ihm mit ihrem Gesicht bedrohlich nah gekommen, und er wußte, daß sie nicht lockerlassen würde.
»Ich habe von Isla Francesca Rauch aufsteigen sehen«, sagte er schließlich, weil er nicht wußte, wie er sonst anfangen sollte.
»Was ist denn die Isla Francesca?« fragte Candace.
»Das ist die Insel, auf der die transgenen Bonobos ausgesetzt werden, sobald sie drei Jahre alt sind«, erklärte Melanie.
»Was für Rauch?«
Kevin stand auf und bedeutete den beiden Frauen, ihm zu folgen. Er ging zu seinem Schreibtisch und zeigte mit dem Finger aus dem Fenster in Richtung Isla Francesca.
»Ich habe den Rauch schon dreimal gesehen«, sagte er. »Er steigt immer an derselben Stelle auf, direkt links neben der steilen Erhebung. Es sind jedesmal nur ganz kleine Rauchwölkchen, die langsam emporsteigen, aber man kann den Rauch lange sehen.« Candace blinzelte. Sie war etwas kurzsichtig, trug aber aus Eitelkeit keine Brille.
»Ist es die am weitesten entfernte Insel?« fragte sie. Sie glaubte, mitten auf der Insel ein paar vereinzelte bräunliche Sprenkel zu sehen, die sie für Felsen hielt. Die anderen Inseln der Kette hingegen wirkten in der Spätnachmittagssonne wie identisch aussehende, dunkelgrüne Mooshügel.
»Genau«, erwiderte Kevin. »Die ist es.«
»Das ist alles?« fragte Melanie. »Du regst dich über ein paar kleine Feuer auf? Bei den vielen Gewittern hier ist das doch weiß Gott nichts
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