Monuments Men
Leonard Woolley, ein weltberühmter Archäologe, der in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ein enger Weggefährte von Sir Thomas Edward Lawrence gewesen war, besser bekannt als Lawrence von Arabien. Nun war er Mitte sechzig und arbeitete im britischen Kriegsministerium auf einem völlig anderen Gebiet. Woolley lagen tatsächlich die antiken Schätze der Welt am Herzen, und im Frühjahr 1943 fanden die drei Männer neben ihren regulären Verpflichtungen die Zeit, Pläne für die Erhaltung der historischen Stätten in Libyen auszuarbeiten. Wheeler und Ward-Perkins drängten darauf, dass die historischen Stätten und die Museen des griechischen und römischen Nordafrika nicht nur geschützt, sondern »auch den Soldaten zugänglich gemacht und ihr Interesse an der Antike geweckt werden« sollte. 29 Eine informierte Armee ist auch eine respektvolle und disziplinierte Armee. Und bei einer respektvollen und disziplinierten Armee ist die Gefahr wesentlich geringer, dass sie Kulturgütern Schaden zufügt. Ohne es zu bemerken, bewegten sich die Briten langsam in Richtung jenes Ziels, auf das George Stout in Amerika so beharrlich hinarbeitete: die Entwicklung des weltweit ersten Programms zum Schutz von Kulturgütern in umkämpften Gebieten.
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DER ERSTE FELDZUG
Sizilien
Sommer 1943
Im Januar 1943 legten Wheeler und Ward-Perkins ihre Pläne für Leptis Magna vor, George Stout trat in Maryland in die Navy ein, und US-Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill trafen sich im marokkanischen Casablanca zu einem Geheimgipfel (der sowjetische Staats- und Parteichef Josef Stalin war ebenfalls eingeladen, konnte aber nicht teilnehmen). Nordafrika befand sich in der Hand der Alliierten, nachdem die Italiener durch die Truppen des Freien Frankreich und die britischen Streitkräfte in Algerien vertrieben worden waren, doch die Festung Europa war noch unbezwungen. Nach zehntägigen Beratungen einigten sich die beiden Parteien auf eine Invasion Europas, und zwar wollten sie sozusagen durch die Hintertür auf den europäischen Kontinent gelangen: über die Insel Sizilien vor der »Stiefelspitze« des italienischen Festlands.
Der Sizilien-Feldzug sollte eine gemeinsame Operation sein, was es bislang noch nie gegeben hatte: Die USA und Großbritannien sollten sich in sämtlichen Bereichen die Führungsaufgaben teilen, bei den Lufteinsätzen ebenso wie bei der Organisation der Wäscherei in der gemeinsamen Basis in Algier. Den Beteiligten war klar, dass es nicht einfach sein würde, die beiden selbstständigen Armeen zu integrieren. Sehr schnell bemerkten die Soldaten in Nordafrika, dass bei den Verantwortlichen zu Hause einige Anweisungen an die falschen Stellen geleitet worden waren: Das Essen war englisch und die Toiletten französisch, während es genau andersherum hätte sein sollen. Das war ein Vorbote für das, was noch folgen sollte.
Zu den unzähligen Verantwortlichkeiten, die nun »gemeinsam« von den beiden Mächten wahrgenommen wurden, gehörte auch das noch in den Kinderschuhen steckende Kulturgüterschutzprogramm, das Wheeler und Ward-Perkins in den Ruinen von Leptis Magna ins Leben gerufen hatten. Ende April 1943 wurde entschieden, dass zwei Offiziere, ein Amerikaner und ein Brite, nach Sizilien geschickt werden sollten, um sämtliche Kulturgüter in den eroberten Gebieten zu inspizieren, »sobald es nach der Besetzung möglich ist«. 30 Paul Sachs und die Museumsdirektoren kamen zum ersten Mal mit den Gepflogenheiten der Politik in Berührung, als die US-Armee sie aufforderte, eine Person zu benennen, die American Advisor on Fine Arts and Monuments werden solle. Sie schlugen einen Mann aus ihren Reihen vor, Francis Henry Taylor, den Direktor des Met, der so viele »große Pläne« entwickelt hatte, über die sich George Stout immer wieder lustig gemacht hatte. Doch Taylor wurde vom Militär abgelehnt, und zwar deshalb, weil er schlicht zu dick war. Da die Zeit drängte und jemand gebraucht wurde, der bereits der Armee angehörte, entschieden sich die Museumsdirektoren für Hauptmann Mason Hammond, einen Harvard-Professor für Altertumsforschung, der im Nachrichtendienst der Air Force arbeitete.
Dummerweise hatte niemand Hammond über die Zusammenhänge informiert, und als er in Algier seinen neuen Posten übernahm, wusste er nur, dass er sich mit der Erhaltung von Kulturgütern beschäftigen sollte. In seinen ersten Arbeitstagen erwarteten ihn mehr Schockerlebnisse als nur grauenhaftes Essen
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