Moonshine - Stadt der Dunkelheit
Wettrennen.
»Haben Sie jemals an einem Tanzmarathon teilgenommen?«, fragte ich ihn. Möglicherweise hatte ich es auch geschrien. Der Alkohol war mir zu Kopf gestiegen, ich hatte den Zustand »angeheitert« übersprungen und war auf dem besten Wege zum Stadium »mehr als betrunken«.
Er lachte. »Höre ich da etwa eine Einladung heraus?«
Ich schüttelte eifrig und voller Missfallen den Kopf. »Eine empörende Verschwendung der Zeit und Energie des Publikums«, sagte ich in meinem überzeugendsten Lehrerinnentonfall.
»Aha. Und das Singen in Nachtklubs?«
»Oh, das sind nur verdeckte Ermittlungen für die
Abstinenzbewegung
– einen verschlageneren Haufen von Kriminellen und Ketzern habe ich noch nie gesehen.«
Ich war ziemlich schockiert, als Amir mit mir im Arm herumwirbelte. Seine Hand lag mit leichtem Druck auf meinem Rücken, und er hielt mich lediglich unziemliche zweieinhalb Zentimeter von seinem Oberkörper entfernt.
Ich bin schlecht darin, mit einem Partner zu tanzen. Daddy hätte mich vermutlich höchstpersönlich erschossen, wenn er mich in Montana dabei erwischt hätte, und es mit Aileen zu üben, hatte weder ihr noch mir geholfen. Also trat ich Amir selbstverständlich auf die Schuhe.
Er zuckte ein wenig zusammen und brachte mit einem Lächeln, das zugleich ironisch und umsichtig war, vernünftigerweise ein paar zusätzliche Zentimeter zwischen uns.
»Ich nehme an, die
Abstinenzbewegung
lässt Ihnen nicht viel Zeit zum Üben«, sagte er. Seine Stimme war sehr leise.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich fähig sein würde, ihn über den Lärm der Band und das Gemurmel der Leute hinweg zu hören, aber jede Silbe summte in meinen Ohren wie Hummeln. Als würden wir in unserer eigenen Seifenblase tanzen, getrennt von der schnöden Welt.
Er ist kein Mensch, Zephyr.
Ich sah ihn an, einerseits aufgewühlt durch die Intensität, mit der er meinen Blick erwiderte, andererseits unfähig wegzuschauen.
Wie viel von alldem hier ist real?
Zum ersten Mal, seit wir uns getroffen hatten, fühlte ich mich bedroht. Ich wollte nicht darüber nachdenken, warum das so war.
Hinter mir stieß ein Tänzer mir seinen Ellbogen schmerzhaft gegen die Schulter, so dass ich gegen Amir taumelte. So viel zur magischen Seifenblase. Wütend und kein bisschen verlegen drehte ich mich um, um nach dem Missetäter Ausschau zu halten.
»Verdammt noch mal«, murmelte ich. Um uns herum tanzten noch mindestens fünfzig andere Menschen, und jeder von ihnen schien ganz besonders übereifrige Ellbogen zu besitzen.
»Erzählen Sie mir nicht, dass Sie verärgert sind, weil hier jemand noch unbeholfener ist als Sie …«
Sein Atem kitzelte an meinem Ohr. Eine Sekunde bevor ich etwas entgegnen konnte, fesselte eine seltsame Bewegung an der Tür meine Aufmerksamkeit. Es war Aileens schäbige Straußenfeder, die in einem ungewohnt schrägen Winkel von ihrem Turban hing. Aileen stolperte die Treppe hinauf, während ein gutgekleideter Mann ihre schlaffe Hand hielt. Nach einem kurzen Moment erkannte ich in ihm den Kerl mit den diamantenen Manschettenknöpfen wieder, den sie entdeckt hatte, nachdem ich sie gebeten hatte, Amir in Ruhe zu lassen. Ich empfand eine widerwillige Bewunderung für ihre Entschlussfreudigkeit.
Amir versuchte mich zurück in seine Arme zu ziehen. »Was denn, keine Erwiderung?«, fragte er mit leichtem Spott in der Stimme.
Abgelenkt schüttelte ich ihn ab. Der Mann öffnete indes die Tür und zerrte an Aileens Arm. Langsam folgte sie ihm.
»Zephyr?«
Irgendetwas stimmte da nicht. Wie gesagt, ich habe keine besondere sinnliche Wahrnehmung, aber ich bemerke Dinge. Schlimm war nur, dass der Alkohol die Übersetzung des vagen Unbehagens in einen konkreten Verdacht so sehr verlangsamte.
Der Mann zog Aileen hinter sich her und machte die Tür zu.
Ich hörte das »Klick« des Schlosses nicht, doch ich empfand es wie eine Detonation in meinem Kopf. Aileens Feder war nicht einfach verrutscht, sie war gebrochen. Und welcher Gentleman, der sich diamantene Manschettenknöpfe leisten konnte, ging in einer eiskalten Nacht wie dieser ohne Hut und Mantel vor die Tür?
Einer, der die Kälte nicht spürte.
»Oh Gott.«
Ich löste mich von Amir und stürzte zur Tür. Wie lange waren die beiden schon weg? Ungefähr zehn Sekunden. Sie konnten nicht sehr weit gekommen sein. Aber sie mussten auch nicht sehr weit kommen, oder? Horace war ein kluger Mann. Er hatte sich für seine illegalen Geschäfte eine ruhige Seitenstraße
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