Moonshine - Stadt der Dunkelheit
wäre es vollkommen ungehörig, überhaupt jemals einen Fuß in eine Küche zu setzen.
Aileen war seit einer geraumen Weile auf der Toilette, daher ging ich zur Badezimmertür und klopfte an.
»Steht dein Tod unmittelbar bevor?«
Sie hustete und spuckte. »Hast du ein Messer?«, fragte sie mit zittriger Stimme.
»Ach herrje«, erwiderte ich und ahmte ihren Akzent nach, »dabei sind deine Handgelenke mit das Schönste an dir.«
Sie lachte. Vielleicht ein bisschen hohl, doch es war sicherlich ein Ausdruck von Belustigung. »Offensichtlich ist mein Hals noch viel anziehender.«
Ach, Aileen.
»Ich mache mich mal auf die Suche nach etwas zu essen für uns beide«, sagte ich. »Drück mir die Daumen. Es kommt mir ein bisschen so vor, als würde ich König Tuts Grab plündern.«
»Essen Mumien eigentlich Menschen?«
»Meistens bleiben sie tot. Aber die Wiedererweckten verspeisen am liebsten Skarabäen.«
»Dann halte dich bloß von Krabbeltieren fern.«
Mumien sind nur eine andere Art von Zombies, hatte mein Daddy während eines seiner Vorträge einmal gesagt. »Aber die verdammten Kameltreiber wüssten nicht einmal, wie man eine Katze zurückbringt, selbst wenn Mohammed sie mit der Nase darauf stoßen würde.«
Ja, mein Daddy kann mit Worten umgehen, nicht wahr?
Aileen stöhnte, und ich ließ sie allein. Zurück in der Küche, fiel mir eine seltsame, viereckige weiße Porzellanbox auf, die an der Wand neben den Schränken stand. Als ich darauf achtete, bemerkte ich, dass die Box der Ursprung des gleichmäßigen Summens war, das den Raum erfüllte. Ich öffnete sie, und ein Schwall eiskalter Luft traf mein Gesicht und meine Arme. Kondenswasser schlug sich auf der Anrichte nieder, die sich ganz in der Nähe befand.
Ich betrachtete das Innere der Box genauer. Ein Schrank, der sich selbst kühlte? Wo um alles in der Welt hatte Amir ein solches Wunderwerk gefunden? Ich begriff, dass es den Kühlsystemen der modernen Fleischverarbeitungsindustrie nicht unähnlich war, allerdings hatte ich bisher nicht gewusst, dass es solche Kühleinheiten auch für den normalen Haushalt gab. Was für eine schamlose Geldverschwendung! Vermutlich benutzte er die Küche nur ein paarmal im Jahr. Wie fast immer siegte mein Hunger über die Entrüstung, und ich nahm eine Karaffe mit Milch und einen Karton frischer Eier heraus. Der Rest des Kühlschranks war mit sechs oder sieben unbeschrifteten Kartons gefüllt. Neugierig öffnete ich einen davon.
Würstchen. Nun ja, nein, bei näherer Betrachtung waren die Würste – im Gegensatz zur gewöhnlichen Sorte – nicht von zweifelhafter Herkunft. Lang, pink und eine von ihnen halb aufgegessen …
»Hotdogs!«
Ich lachte, bis ich vollkommen aus der Puste war. Hotdogs! Ein Prinz der Dschinn besaß einen Schrank voller Frankfurter, die gemeinhin an Straßenecken verhökert wurden! Was für eine lustige Entdeckung. Ich konnte es kaum erwarten, ihn damit aufzuziehen. Kopfschüttelnd machte ich den Schrank wieder zu. Im Vorratsschrank über dem Herd entdeckte ich einen Laib Brot und machte mich daran, das Frühstück zuzubereiten.
Aileen kam wieder ans Tageslicht, als ich gerade den ersten armen Ritter in die Pfanne legte. Sie sah in ihrem zerknautschten roten Abendkleid so blass und zerbrechlich aus, dass ich einen Moment lang fürchtete, sie könnte in Ohnmacht fallen. Doch sie lehnte sich an die Wand und starrte mich mit einem erbarmungswürdigen Ausdruck in ihren grauen Augen an.
»Wo ist dein Junge?«, fragte sie, und ihre Stimme klang seltsam flach.
Ich drehte die Brotscheibe um. »›Junge‹ ist wohl kaum die richtige Bezeichnung für ihn.«
»Natürlich nicht. Habt ihr beide euch vergangene Nacht verausgabt?«
In ihren Worten schwang eine nicht zu überhörende Härte mit. Ich erinnerte mich an die schlimmsten Momente der letzten paar Stunden, als Amir so heiß gebrannt hatte, dass er den Teppich unter sich versengt hatte. »Er schläft jetzt«, sagte ich leise. »Zwischen uns ist aber nichts passiert.«
Aileen lachte, und dieses Mal war es ein freudloses Lachen. »Wie kommt’s? Wolltest du nicht deshalb, dass ich die Finger von ihm lasse? Hast du mich nicht deshalb in die Arme dieses erfreulich reichen Vampirs getrieben? Was für eine vergeudete Chance …«
Ich legte die zweite Scheibe Brot so unvermittelt in die Pfanne, dass Tropfen von heißem Öl meine Haut verbrannten. »Das habe ich nicht gewusst.«
»Das sollte besser nicht die Runde machen. Die Vampirrechtlerin
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