Moonshine - Stadt der Dunkelheit
sagte so freundlich wie möglich: »Selbstverständlich habe ich morgen das Geld für Sie. Und ich werde mir Ihre Warnung zu Herzen nehmen.«
Anhand ihres Blickes aus leicht zusammengekniffenen Augen merkte ich, dass sie nicht genau wusste, wie sie das verstehen sollte, doch sie hielt mir die Tür auf.
»Jemand hat angerufen und nach Ihnen verlangt. Ihr Name war Lily Harding. ›Sagen Sie Miss Hollis bitte, dass ich sie ersuche, mich um ein Uhr im
Roosevelt
zu treffen‹, hat sie gesagt.«
Ich stieß unwillkürlich ein Lachen aus. Abgesehen von ihrem russischen Akzent hatte Mrs. Brodsky die angehende Journalistin verblüffend gut nachgeahmt.
Sie schenkte mir ein fast schon verschwörerisches Lächeln. »Haben Sie Freunde in den höheren Kreisen, Zephyr? Nun, Sie sollten trotzdem nicht vergessen, woher Sie kommen. Denn Sie werden niemals eine von denen sein, niemals dazugehören.«
Verwirrt nickte ich und trottete die Stufen hinunter. Meine Wirtin hatte Sinn für Humor? Leider bezweifelte ich, dass ihr Rest von Menschlichkeit so weit ging, dass sie mitfühlendes Verständnis für verspätete Mietzahlungen aufbrachte.
Ich war überrascht, dass Lily so schnell Kontakt zu mir aufgenommen hatte, aber wenn sie sich mit mir treffen wollte, musste sie über Informationen verfügen. Ich radelte mit mehr Schwung als sonst zur Blutbank, denn wenn ich Lily um eins treffen wollte, blieb mir kaum noch Zeit, um für Ysabel die Blutkonserven auszuliefern.
Ein paar Menschen warteten in der beengten Lobby, als ich in das winzige Spendenzentrum mit der Ladenfront am St. Marks Place kam. Trotz des Angebots von fünfundzwanzig Cent für einen gesunden halben Liter, konnte man nicht behaupten, dass die Freiwilligen sich in Stationen wie dieser in der ganzen Stadt tummelten. Die Menschen hatten eine tief verwurzelte Angst vor Vampiren. Auch wenn ihnen bewusst war, dass solch freiwillige Spenden die Zwischenfälle mit Vampiren im Blutrausch und bösartigen Blutsaugern stark eindämmten, schreckten sie davor zurück, ihr eigenes Blut zu geben. Boulevardblätter brachten immer wieder unsachliche Artikel über Vampire, die Spendern auflauerten, nachdem sie deren Blut gekostet hatten. Völliger Quatsch natürlich, aber das hielt selbst die mutigsten Menschen von den Blutbanken fern. Ich spendete einmal im Monat und lieferte Blutkonserven aus, wenn ich die Zeit dazu hatte.
Ysabel, die jüdische Großmutter aus der Ukraine, die das Zentrum leitete, strahlte erfreut, als ich zu ihr an den Tresen trat.
»Zephyr, du hast es geschafft! Ich habe mich schon gefragt, ob du kommen würdest, nachdem ich von deinem kleinen … Engagement gestern erfahren habe. Warst du wundervoll? Ich bin sicher, dass du ganz wundervoll warst. Ich wünschte, ich hätte kommen können. Aber du weißt ja, Saul hat es immer geliebt, zu tanzen, und jetzt kann er es nicht mehr. Was für ein Jammer.« Sie senkte die Stimme, als würde sie mir ein anstößiges Geheimnis mitteilen. »Außerdem bezweifle ich, dass der Wein koscher ist.«
Ich sah Horace praktisch vor mir, wie er einen Rabbi in seinen Keller zerrte, der die Badewannen segnen sollte. »Ich glaube, da könntest du recht haben«, erwiderte ich und schaffte es nur mit Mühe, ernst zu bleiben. »Obendrein ist es illegal.«
Ysabel tippte mit dem Stift, den sie sich hinters Ohr gesteckt hatte, an ihren stahlgrauen Dutt. »Genau. Das vergesse ich immer wieder.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie mir das passieren kann – Saul redet schließlich von nichts anderem.«
»Also …«
»Oh, natürlich, die Lieferungen!« Sie griff unter die Theke und holte ein Blatt Papier hervor. Es war eine Liste mit Namen, Adressen und jeweils einer Ziffer für die zugeteilten Blutkonserven.
»Es sind zehn Vampirinnen, von denen die meisten regelmäßig Lieferungen bekommen. Wenn ein durchgedrehter Vampir dich anhalten sollte, gib ihm einfach, was er will, ja? Du bist zu wertvoll, ich möchte dich nicht verlieren.«
Ysabel gab mir diese Warnung jedes Mal mit auf den Weg, wenn ich für sie auslieferte. Mittlerweile machte ich mir nicht mehr die Mühe, meine Fähigkeiten zu beteuern. Sie wusste nicht, dass ich immun war, und die letzte Nacht hatte gezeigt, dass es absolut angebracht war, sich um meine Sicherheit zu sorgen. Immerhin transportierte ich auf dem Gepäckträger meines Fahrrades die Blutmenge, die in etwa der eines erwachsenen Menschen entsprach. Ysabel öffnete die Tür zum Lagerraum, wo der Golem,
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