Moonshine - Stadt der Dunkelheit
trafen? Andererseits, was würde mit ihnen selbst passieren, wenn ihre gewöhnlichen Bleikugeln einem Blutsauger nicht mehr antaten als ein Insektenstich? Ich schwieg und eilte davon.
Die Catherine Lane war genau einen Block lang und lag wie eine Scheibe Pastrami eingeklemmt zwischen der Leonard und der Worth Street. Das frei stehende Mietshaus war sonst nur umgeben von Lagerhäusern und leeren Grundstücken, so dass ich meine Suche schnell eingrenzen konnte. Ich näherte mich der Tür mit einem gewissen Maß an Unbehagen, da ich an meinen Empfang in der Leonard Street dachte. Ich wollte nicht unbedingt von Silberkugeln durchsiebt werden, weil ich einem nervösen Vampir glich. Doch der Eingang war verlassen, und die ramponierten roten Eichenholztüren waren von innen verschlossen.
Ich rüttelte daran und klopfte laut, aber niemand reagierte. Außer meinem eigenen Atem in der Kälte konnte ich nichts hören. Der Schnee dämpfte den Verkehrslärm von der Lafayette Street, und so kam es mir einen Augenblick lang vor, als wäre ich gar nicht mehr in der Stadt. Ich hatte mich an das stetige Summen des Lärms in New York gewöhnt. Diese Art tiefer, angstvoller Stille passte eher zu den verwunschenen Ecken Yarrows als zu einem der bevölkerungsreichsten Ballungsgebiete der Welt. Das hatte
Faust
in
einer einzigen
Nacht geschafft?
Ich legte die Hände um den Mund und rief: »Hallo, ist da jemand?«
Schweigen. Ich kam mir ein wenig albern dabei vor, ein Haus anzubrüllen, doch wenn das, was vergangenen Donnerstag hier geschehen war, irgendetwas mit Judah zu tun hatte, musste ich es herausfinden.
Ich bewegte erst die Füße im Schnee und fing dann an, auf und nieder zu hüpfen, damit mir warm wurde. Gut, noch einmal. »Ich bin ein ganz normaler Mensch, versprochen. Zephyr Hollis. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört? Ich brauche Informationen über einen kleinen Jungen.«
Erwartungsvoll blickte ich zur Tür. Tja, verdammt, mir fehlten eigentlich nur noch ein paar einsame Steppenhexen, die die Straße entlanggeweht wurden. »Das ist wirklich peinlich«, murmelte ich. Vielleicht sollte ich einfach warten, bis jemand das Haus verließ. Sie konnten schließlich nicht ewig drinbleiben.
»Hey, Sie!«
Die Tür war noch immer verschlossen. Ich blickte nach oben und entdeckte schnell, woher die Stimme kam: aus einem Fenster im zweiten Stock, über dem ein grelles Graffiti prangte. Eine alte Frau mit Lockenwicklern im Haar hatte das Fenster geöffnet und lehnte sich heraus.
»Sie sind doch dieses Mädchen, stimmt’s? Diese singende Vampirrechtlerin?«
Tja, wenigstens war mir jetzt im Gesicht warm. Ich nickte nur. »Ich suche nach der Mutter eines kleinen Jungen. Er ist am Donnerstagabend in dieser Gegend angegriffen worden. Möglicherweise von den
Turn Boys
. Haben Sie vielleicht irgendetwas mitbekommen?«
Die Frau hob seufzend die Hand. »In der letzten Woche hat hier das totale Chaos geherrscht, das kann ich Ihnen sagen. Jeder hat Angst, nach draußen zu gehen. Ja, diese verdammten Jungs von Rinaldo waren letzten Donnerstag hier. Ich habe keine Ahnung, was sie im Schilde geführt haben, aber es klang schlimm. Es war ein lautes Knurren und Schreien und Lachen. Meine Enkelin hat seitdem Alpträume. Ich wusste nicht, dass es ein kleiner Junge war, den sie da in ihren Fängen hatten. So eine Schande. Sie brauchen jemanden, der sich um die Leiche kümmert, habe ich recht?«
Ich zögerte. Plötzlich fiel mir Amirs Warnung wieder ein, wie gefährlich und dumm es von mir gewesen sei, Judah zu retten. Ein elfjähriges Kind. Mein Gott, nicht einmal diese alte Frau konnte sich vorstellen, dass der Junge überlebt hatte.
»Das stimmt«, sagte ich. »Kennen Sie jemanden, der ein Kind vermisst?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir hatten Glück, dass die Vampire im Blutrausch sich in der letzten Nacht keines von unseren eigenen Kindern geschnappt haben. Na ja, jedenfalls klang es so, als hätten Rinaldos Jungs eine ganze Weile mit ihm gespielt.« Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Ich habe gehört, wie sie lachend und grölend bis zur Lafayette gelaufen sind. Ein kleiner Junge! Das ist echt zu viel. Keine Mutter sollte so etwas erleben müssen. Ihr kleiner Junge gepfählt und enthauptet. Ich hoffe, Sie finden die Frau. Wenn sie Hilfe braucht, sagen Sie ihr, dass sie in die Catherine Lane kommen soll.« Sie nickte knapp, fast wie ein Soldat.
Ich erwiderte ihren Gruß, schließlich erkannte ich einen Gleichgesinnten,
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