Moonshine - Stadt der Dunkelheit
kenne ein schönes Lokal. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch, bevor es schließt.«
»Du weißt schon, dass ich keine Wiener Würstchen und Sauerkraut esse, oder?«
Er presste die Lippen aufeinander und unterdrückte mit aller Macht ein Lächeln. »Wenn Wiener Würstchen Kaviar wären, würden sie sie im
Plaza
servieren.«
»Und wenn das
Plaza
Hotdogs servieren würde, könnte ich es mir noch immer nicht leisten.«
Also gingen wir Richtung Chinatown. Es war nicht sehr weit, doch ich hatte einen langen Tag hinter mir und warf sehnsüchtige Blicke auf die wenigen vorbeifahrenden Droschken.
Amir drückte meine Hand. Augenscheinlich war er glücklicher als in den vergangenen paar Tagen. Nicht, dass ich die Spuren von Schmerz und Anspannung um seine Augen herum nicht noch immer bemerken konnte, aber er hielt meine Hand, summte leise und verhielt sich wie ein Schuljunge, der überraschenderweise wegen außergewöhnlich schlechten Wetters einen halben Tag freibekommen hatte.
»Was ist in dich gefahren?«, wollte ich schließlich wissen, als er unvermittelt stehen blieb und mich hochhob, um mich zu küssen. »Hast du Rinaldo gefunden?«
Er lachte. Zwar sah er nicht aus, als hätte er Schmerzen, doch seine Hände waren glühend heiß, wie ich sogar durch meinen Mantel hindurch spüren konnte. »Ich habe ein paar Spuren, wie Sherlock Holmes sagen würde.« Er stellte mich auf den Boden zurück und sah mich einen Moment lang an. Seine Augen leuchteten wie Feuer, das in ein Juwel eingeschlossen war. »Es ist seltsam, aber ich glaube, ich freue mich, dich zu sehen.«
Verlegen wendete ich den Blick ab. Ich konnte den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht deuten – er wirkte wehmütig und traurig und resigniert und aufgekratzt zugleich, je nachdem, wie ich ihn im Dunkeln ansah. Obwohl ich es nicht gern zugab, machte seine Stimmung mir doch Angst. In den letzten Tagen war irgendetwas mit ihm geschehen. Seine Anfälle kamen nun immer schneller hintereinander. Was auch immer zwischen den beiden vorgefallen war – Rinaldo wusste offenbar, dass Amir etwas vorhatte. Sonst wären seine Drohungen sinnlos gewesen. Warum also war Amir angesichts all der entsetzlichen Dinge, die unlängst geschehen waren, so unbeeindruckt?
Ich schüttelte den Kopf und ging weiter. Amir blieb noch einen Augenblick stehen und lief dann hinter mir her, um mich einzuholen.
»Ich kann auch traurig sein, wenn du willst«, sagte er und lächelte zaghaft. »Oder ist es nur der Gedanke, dass
du
mich glücklich machst, der dich aussehen lässt, als hättest du gerade ein Stück Kohle verschluckt?«
Ich verzog das Gesicht. »Gib mir was zu essen, und ich singe dir eine Arie.«
Zum Glück für mich war das Restaurant nur noch einen Block entfernt. Amir öffnete eine Tür, die so unauffällig zwischen einem Schneider und einem traditionellen chinesischen Kräuterarzt lag, dass ich hundertmal daran hätte vorbeigehen können, ohne dass sie mir aufgefallen wäre. Sobald wir die quälend steile, knarrende Holztreppe hinaufgingen, überwältigte uns das unverkennbare Aroma delikaten Essens. Knoblauch und Ente und Nelken und Ingwer und unzählige andere Gerüche, die ich nicht erkannte, dufteten so köstlich, dass ich auf der Treppe ins Stolpern geriet.
Mit beiden Händen umfasste Amir meine Taille, bevor ich mir auch nur den Zeh anstoßen konnte. »Nur noch ein paar Stufen«, sagte er lachend.
Ich konnte nicht anders, als ihn anzulächeln. Mit einem Mal breitete sich in meinem Magen, der mir schon in den Kniekehlen hing, ein warmes, wohliges Gefühl aus.
Amir öffnete eine weitere Tür am Ende der Treppe, und wir traten in einen Raum, in dem drei lange Tische standen. An jedem Tisch saßen vier oder fünf Chinesen und aßen mit ihren Holzstäbchen eine erstaunliche Fülle von Essen. Ich hatte schon mal bei Straßenverkäufern chinesisches Essen gekostet, aber noch nie in einem echten Restaurant. Wenn man auf die Großzügigkeit anderer angewiesen ist, die einem etwas zu essen kaufen wollen, besteht immer ein gewisses Risiko, dass man das essen muss, was sie wollen.
Ein alter Mann mit einer Schürze kam aus der offenen Küche, als er uns bemerkte, und begrüßte Amir mit einem Schwall schneller, unverständlicher chinesischer Wörter. Amir antwortete in derselben Sprache.
Meine Augenbrauen fühlten sich an, als würden sie Richtung Haaransatz wandern, als wir schließlich an dem Tisch Platz nahmen, der der Küche am nächsten war. »›Lesen, Schreiben
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