Moonshine - Stadt der Dunkelheit
die alle reden?«
Das reicht, dachte ich, ich ziehe nach Yukon, heirate einen Holzfäller und lebe dort glücklich und in Vergessenheit geraten bis an mein seliges Ende. Dann sagte ich: »Ich nehme an, das stimmt. Ja.«
Er nickte und strich mit dem Daumen über die Krempe seiner Mütze. »Mein kleines Mädchen hat letzten Monat entsetzliches Fieber bekommen. Wir dachten erst, es wäre Kinderlähmung, wissen Sie? Wären vor Sorge fast umgekommen. Tja, seit einer Weile ist das Fieber weg, und es geht ihr besser, aber jetzt hat sie so komische Flügel auf dem Rücken. Sie sind winzig und machen auch nichts, aber wir haben Angst, sie wieder in die Schule zu schicken … Was, wenn die Lehrer es entdecken und die Kleine melden? Wir wollen nicht, dass sie damit leben muss …«
Ich seufzte. In einer Stadt, in der es so viele Vampire gab, war es leicht, manchmal die Verfolgung und Ausgrenzung zu vergessen, unter der die übrigen
Anderen
leiden mussten. Vor allem diejenigen, die – wie die Tochter dieses Mannes – plötzlich irgendeine längst vergessene Kraft in sich entdeckten, die sie zu einem
Anderen
machte. Wenn die Kleine als Fee registriert werden würde, untersagten unsere derzeitigen Gesetze ihr das Recht, zu wählen oder vor Gericht in Berufung zu gehen. Sie würde keinen gerechten Lohn bekommen und müsste obendrein auf eine Menge anderer unveräußerlicher Rechte verzichten, die die Menschen als selbstverständlich betrachteten. So hatte sich ein florierender Zweig der Chirurgie entwickelt – spezialisierte Ärzte halfen diesen armen Menschen in Heimarbeit, ihre offensichtlichen äußeren Anzeichen des
Andersseins
loszuwerden.
Na ja, der
Bürgerrat
würde es sicher nicht gern sehen, doch ich wusste, wie ich ihm helfen konnte. »Sie werden fünfzig Dollar brauchen«, sagte ich. »An der Ecke Pell und Mott gibt es einen chinesischen Kräuterladen, der von einem gewissen Mr. Chang geführt wird. Fragen Sie ihn, ob Sie ihn unter vier Augen sprechen können. Es ist so sauber und sicher wie jede andere Möglichkeit in der Stadt.«
Der Mann wollte mir Geld geben, aber das konnte ich angesichts der jämmerlichen Verfassung seines Pferdes nicht annehmen. Daher lächelte ich nur und zog mich, als er mich schließlich an Ort und Stelle zu einer Heiligen erklären wollte, so schnell es ging zurück. Der Vorfall hatte meine Kopfschmerzen allerdings wieder verschlimmert. Die
Anderen
hatten in unserer Gesellschaft schon so genug Schwierigkeiten. Die Frauen hatten vor fünf Jahren das Wahlrecht erstritten, doch wann würden die
Anderen
dieselben Rechte bekommen? Nun, da
Faust
im Begriff war, die Stadt zu überschwemmen, würde es wahrscheinlich niemals so weit kommen. Diese Vorstellung reichte, um in mir den dringenden Wunsch zu wecken, zu dem endlosen Treffen der
Abstinenzbewegung
zurückzugehen und die heuchlerischen alten Schachteln anzuschreien, bis ich heiser war. Was natürlich überhaupt nichts bewirken würde. Ich seufzte, straffte die Schultern und ging ins Klassenzimmer.
Zu meiner Überraschung saßen sieben Leute hinter den Schreibtischen. Zu den sechs Schülern, die regelmäßig kamen, hatte sich Giuseppe in die letzte Reihe gesetzt. Er wippte ungeduldig mit dem Fuß und starrte aus dem Fenster. Er war noch nie in diesem Kurs gewesen. Hatte Rinaldo ihn wieder bedroht? Leider würde ich mit meinen Fragen bis nach dem Unterricht warten müssen.
Ich erklärte gerade die Feinheiten polizeilicher Suchverfahren, als Giuseppe die Hand hob. »Aber manchmal sollte die Polizei jemanden, der zu den
Anderen
gehört, verhaften, und sie tut es nicht. Die Polizisten sind einfach korrupt. Sie benutzen uns, wenn es ihnen passt, und die wirklich Kriminellen lassen sie frei herumlaufen.«
Alle Schüler schienen plötzlich ein bisschen aufrechter zu sitzen, denn jeder wusste, wen Giuseppe damit meinte.
»Na ja, die Bestechlichkeit der Polizei – auf beiden Seiten – ist eine beklagenswerte Realität in unserer Gesellschaft, Giuseppe. Das Beste ist es, sich von dieser Art von
Anderen
fernzuhalten. Mit skrupellosen Verbrechern kann man nicht vernünftig verhandeln, und man steht auf verlorenem Posten. Wendet man sich dagegen an unsere Regierung oder die Polizei, bekommt man zumindest eine Außenseiterchance.«
Damit wollte ich mich wieder zur Tafel umdrehen, aber er ließ nicht locker. »Was, wenn man keine Wahl hat? Wenn die Polizei einfach nichts tut?«
Ich biss mir auf die Unterlippe. Tatsache war, dass man
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