Moonshine - Stadt der Dunkelheit
»Das ist es ja. Ich weiß es nicht sicher. Ich habe nie gesehen, wie sie die U-Bahnstation verlassen haben. Sie waren immer nur da und dann … weg.«
»Sie meinen, die beiden sind verschwunden?«
»Nein, nein. Sie sind dahinten hingegangen.« Er wies auf die Stelle, an der der Bahnsteig ein paar Meter in den dunklen Tunnel führte. Er versuchte, mir die Münzen abzunehmen. »Ich schwöre, das ist alles, was ich weiß. Lassen Sie einen armen Schlucker in Ruhe, ja? Ich brauche meinen Schlaf.«
Amir zuckte die Achseln, und ich ließ die Münzen in die Hand des Mannes fallen. »Wenn Sie sie wiedersehen, sagen Sie ihr bitte, dass sie sich beim
Bürgerrat
in der Lower East Side melden und eine Nachricht für Zephyr Hollis hinterlassen soll. Es geht um ihren Sohn.«
Fast wäre ich zusammengezuckt, als ich ihm meinen Namen gab, aber zu meiner grenzenlosen Freude erkannte er mich nicht. Vielleicht musste ich ja doch nicht nach Yukon ziehen.
Argwöhnisch blickte der Mann uns hinterher, bis wir die Treppe erreicht hatten. »Sie sollten den Jungen pfählen«, rief er, nachdem wir seinem Dunstkreis entkommen waren. »Was Sie tun, ist illegal, und das wissen Sie auch.«
Zu unserer Überraschung blieb Judah stehen und wandte sich dem Mann zu. »Ich würde Ihr Blut sowieso nicht trinken«, sagte er mit seiner klaren, klangvollen Stimme. »Sie stinken, und ich bin ein guter Vampir.«
Ein guter Vampir?
»Hast du ihm das gesagt?«, flüsterte ich Amir zu, als wir die U-Bahnstation verließen.
Er zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist das Kardals Werk. Würde mich nicht wundern. Dieser moralische Mistkerl.«
In der Ferne hörte ich ein Lachen und das Klirren, als Glas zerbrach. Es mussten ein paar illegale Kneipen in der Gegend sein, und ich fragte mich, wie viele von ihnen schon die neue Wunderdroge für Vampire anboten. Mein Kiefer knackte leise, als ich gähnte, und Amir wandte sich mir zu, als würde ihm gerade zu seinem Schrecken wieder einfallen, dass ich ja ein Mensch war. Er hielt meine Hand, legte die andere auf Judahs Schulter und teleportierte uns im nächsten Moment vor die Pension, in der ich wohnte. Es fühlte sich mittlerweile nur noch wie ein unangenehmes Rucken an, und sicherlich war es bequemer, als mit dem Fahrrad zu fahren oder die U-Bahn zu nehmen. Auf der Straße war es totenstill, doch ich war mir der verstohlenen Blicke hinter den geöffneten Fenstern im Block sehr bewusst. Es schien, als habe der Wille zum Selbstschutz sich von der Catherine Lane aus weiterverbreitet. Was, wenn die Leute erkannten, was Judah war? Ich erschauderte.
»Bring ihn zurück, Amir. Hier sind alle zu angespannt wegen
Faust
– es ist unvorhersehbar, was sie tun, wenn sie herausfinden, dass …«
Er verstand. »Sei vorsichtig«, sagte er. »Wir sehen uns morgen.« Dann umarmte er mich und hauchte mir einen flüchtigen, feurigen Kuss auf die Stirn. Schließlich gingen er und Judah den Häuserblock entlang, bis sie von den Schatten verschluckt wurden, und verschwanden.
Leise schob ich die Tür zu unserem Zimmer auf, doch Aileen war noch wach. Sie hockte auf dem Fenstersims und rauchte in ihrem viel zu großen Body und mit dem Turban aus der Kunstseidenstrumpfhose auf dem Kopf eine Zigarette nach der anderen. Ihre Hände zitterten.
»Du wirst dich noch umbringen, wenn du so weitermachst«, sagte sie. »Amir muss wissen, wie gefährlich das ist, was du tust. Ich traue ihm nicht, Zephyr.«
»Ist das eine …«
Sie schüttelte den Kopf und drückte ihre Zigarette aus. »Nein, keine Vision. Nur ganz gewöhnliche Besorgnis.« Sie machte das Fenster auf und leerte die Schale mit den Kippen und der Asche aus. »Glaubst du mir?«
Ich war so erschöpft, dass ich nur glaubte, stehenden Fußes ohnmächtig zu werden. Aileen sah beinahe genauso schlimm aus. Die Schatten unter ihren Augen wirkten im Mondlicht fast schwarz. »Es hat nicht aufgehört?«, fragte ich.
Aileen zuckte die Schultern. »Ich fühle mich wie ein Radio für die andere Seite. Rauchen scheint die Visionen zu stoppen.«
»Arme Aileen«, flüsterte ich, schloss sie fest in die Arme und wartete, bis sie sich fallenlassen und weinen konnte. Ich hätte mir nichts Schlimmeres für sie vorstellen können. »Wir kriegen das schon hin«, versprach ich leise. »Es muss Wege geben, die Visionen zu kontrollieren.«
»Heute Morgen hast du noch geglaubt, dass ich nur Hunger hätte. Was ist passiert?«
Ich seufzte. »Dieses Ding vor unserer
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