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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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erkennen und mir vorstellen, dass der Duft im Frühling so stark war, dass er sogar in der Erinnerung eines Vampirs ohne Gedächtnis haften blieb.
    »Zephyr?«
    Ich wandte mich zu Amir um. »Das sind Rosenbüsche. Wir müssen ganz in der Nähe von Judahs Mutter sein.«
    Das Erfolgserlebnis war ein besseres Stärkungsmittel als eine Tasse starken Kaffees. Ich hüpfte und rannte die steile Treppe zur U-Bahnstation hinab. Der Kassenschalter war um diese Zeit längst geschlossen, doch die Station war nicht ganz verlassen: Ein obdachloser Mann hatte es sich am Fuße der Treppe gemütlich gemacht. Er verströmte den unverkennbaren Geruch eines Menschen, der gezwungen war, seine Winterkleider monatelang zu tragen, ohne mal ein Bad nehmen zu können. Allerdings schwang noch ein anderer scharfer, fauliger Gestank mit. Ich dachte, ich hätte mich in meiner Zeit in der Suppenküche an die strengen Ausdünstungen von Menschen gewöhnt, dieser Geruch ging aber noch darüber hinaus. Ich glaubte, er würde schlafen, doch er schlug die Augen auf, als wir uns näherten.
    Ganz automatisch durchsuchte ich meine Manteltaschen nach Münzen, aber Amir rollte nur die Augen und legte eine Hand auf meine Schulter.
    »Erkennen Sie diesen Jungen?«, fragte er.
    Der Obdachlose erkannte offensichtlich eine Gefahr, wenn sie drohte, denn er versuchte, sich aufzurichten. Irgendwie wirkte er betrunken, was seltsam war – Alkohol schien der einzige Geruch zu sein, der nicht in meine Nase drang. Sobald er Judah bemerkte, bekreuzigte er sich und presste sich mit dem Rücken an die Wand.
    »Allmächtiger, was haben Sie mit ihm vor? Mein Blut ist nicht gut, das schwöre ich. Ich habe es verdorben.«
    Amir hob die Augenbrauen. »Verdorben? Wie denn? Haben Sie vergessen, es in den Kühlschrank zu legen?«
    »Alkohol. Es ist mir peinlich, es zuzugeben, Sir. Destillierter Brandy, direkt in die Vene. Bekomme die Schüsse von einem von Rinaldos Leuten.«
    Entgegenkommend rollte er einen seiner übel riechenden Ärmel hoch, um uns einen besseren Blick auf die gelblichen Einstichstellen entlang seiner Armvene zu geben. Mir stockte der Atem, und ich bemühte mich, nicht zu würgen. Seit ich in der Stadt war, hatte ich schon vieles gesehen, doch es taten sich scheinbar immer noch tiefere Abgründe auf. Dieser Mann würde den Winter vermutlich nicht überleben.
    »Okay, wir verstehen«, sagte ich. Meine Stimme klang nasal, weil ich nur durch den Mund atmete. »Aber erkennen Sie diesen Jungen?«
    »Diesen
Jungen?
« Das Lachen blieb ihm im Halse stecken und wurde zu einem kränklichen Husten. »Wenn das ein Junge ist, dann sind Sie Jimmy Walker. Jemand hat ihn gewandelt.«
    »Wer war er vorher? Kannten Sie seine Mutter?«
    Der Ausdruck in seinen Augen wirkte mit einem Mal weicher. »Oh, natürlich. Eine reizende Dame. Habe sie in der letzten Woche nur einmal gesehen. Ihre Augen waren rot, als hätte sie geweint, und sie hat mir ohne Grund zwei Dollar zugesteckt. Eine Schande, dass es ausgerechnet ihrem Jungen passiert ist.«
    Amir und ich blickten uns an, ohne uns die Aufregung anmerken zu lassen.
    »Kennen Sie ihren Namen?«, fragte er. »Können Sie uns beschreiben, wie sie aussieht?«
    Der Obdachlose verengte die wässrigen Augen zu schmalen Schlitzen. »Warum? Damit Sie ihr dieses … Ding bringen können? Sie sollten ihn pfählen und sie in Ruhe lassen. Wunderschöne Frau.«
    Toll. Das hatte ich jetzt zur Genüge gehört. Ich angelte zwei Silberdollar aus meiner Tasche und wedelte damit vor seiner Nase herum. »Das hier gehört Ihnen, wenn Sie uns helfen. Klar so weit?«
    Er blickte zwischen mir und Amir hin und her. »Wissen Sie, es wäre einfach nicht richtig …«
    Mit herrlicher Lässigkeit stieß Amir etwas schwefelgelben Rauch aus seinen Ohren, und der mittellose Mann starrte ihn mit großen Augen an.
    »Also, warum erzählen Sie uns nicht, was Sie wissen«, sagte Amir.
    »Habe ihren Namen nie gehört, ich schwöre es. Habe sie und den Jungen immer nur gesehen, wenn sie manchmal morgens gefahren sind. Sie wirkte ein bisschen zu schick für die U-Bahn, aber Sie wissen ja, was man über den Verkehr in der Stadt heutzutage sagt.« Er lachte nervös und wischte sich schmierige Schweißperlen von der Stirn. »Sie hat braunes Haar, lang und gepflegt. Sie ist dreißig, vielleicht fünfunddreißig Jahre alt. Hellbraune Augen.«
    Jetzt waren wir allmählich auf dem richtigen Weg. »Lebt sie hier in der Gegend?«, wollte ich wissen.
    Er runzelte die Stirn.

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