Moonshine - Stadt der Dunkelheit
unheimliche Freude. Ungeschickt wollte er nach meinem Hals greifen. In dem Augenblick duckte ich mich, packte ihn an den Schultern und nutzte das Überraschungsmoment, um ihn auf den Boden zu schleudern. Ich trat mit meinem Stiefel in seinen Nacken, suchte den Boden nach meinem Messer ab, ging kurz in die Hocke und hob es auf. Die übrigen Blutsauger blieben stehen und beäugten mich argwöhnisch.
»Die Sonne wird stärker«, sagte ich und blinzelte die Schweißperlen aus meinen Augen.
Unvermittelt begannen sie zu rennen und rempelten sich auf ihrer überstürzten Flucht gegenseitig an.
»So hell scheint sie nun auch wieder nicht«, murmelte ich und blickte mich auf der plötzlich verlassenen Straße um.
Einen Moment später erkannte ich den wahren Grund für ihren hastigen Aufbruch: Die Polizei war da. Ich war durch den Kampf so abgelenkt gewesen, dass ich nicht mal die Sirenen gehört hatte. Ein Polizist zerrte den Vampir unter meinem Stiefel auf die Füße und ließ die speziellen Handschellen für
Andere
um seine Handgelenke zuschnappen.
»Geht es Ihnen gut, Ma’am?« Es war ein junger Polizist, der mich mit sichtlicher Besorgnis musterte. Er sah auf eine gesunde, jugendlich frische Art und Weise gut aus.
Ich lächelte, aber das schien ihn nur noch mehr zu beunruhigen. Verstohlen blickte ich an mir herab. Nun ja, ich an seiner Stelle wäre vermutlich auch beunruhigt gewesen: Ich war so voller Blut – von dem kaum etwas mein eigenes war –, dass ich vermutlich an Lizzie Borden erinnerte.
»Die Vampire haben mich nicht gebissen«, versicherte ich. »Es geht mir gut. Sie haben sich ganz schön Zeit gelassen, oder?«
Er zuckte verlegen die Schultern. »Leider kommt es momentan in der ganzen Stadt zu Zwischenfällen, Ma’am. Wir haben einen kleinen Engpass.«
Ich drehte mich zu der vollkommen verwüsteten Blutbank um. »Das können wir von uns jetzt auch behaupten«, sagte ich leise.
Ysabel trat hinter mich und schloss mich fest in die Arme. »Ich habe noch nie jemanden etwas so Mutiges tun sehen«, sagte sie und vergrub ihr Gesicht in meiner Bluse. »Ich dachte ernsthaft, du wärst tot. Sie haben dich wirklich nicht gebissen?«
Ich versicherte ihr, dass es mir gutgehe, obwohl ich inzwischen selbst daran zweifelte. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Mein linker Arm schmerzte höllisch – er war zwar nicht gebrochen, doch am Abend würde ich sicherlich ein paar hübsche blaue Flecke haben –, außerdem hatte ich wesentliche Hautpartien meiner Schulter auf dem Kopfsteinpflaster gelassen. Und das alles, weil ich geglaubt hatte, dass ich ganz allein eine plündernde Horde von mehr als einem Dutzend Vampiren vertreiben könnte? Das Gefühl des Messers unter meinen Röcken – und noch schlimmer, des Messers in meinen Händen – hatte allmählich angefangen, mir in seiner Vertrautheit tröstlich vorzukommen. Ich hatte gelächelt, als ich die arme, von
Faust
benebelte Vampirin gesehen hatte, die sich unter der geweihten Klinge gewunden hatte.
Gelächelt.
Plötzlich war ich froh, nicht gefrühstückt zu haben. Wenigstens konnte ich mich so nicht übergeben.
Ich blieb noch eine halbe Stunde bei Ysabel, während sie sich einen Überblick über den Schaden verschaffte und einsammelte, was von den Blutvorräten übrig war. Saul erlöste den armen Golem von seiner Qual, indem er die hebräischen Buchstaben für »Wahrhaftigkeit« auf seiner Stirn löschte und stattdessen »tot« daraus machte. Alles in allem hatten die Vampire siebzig Prozent der Vorräte getrunken oder zerstört, darunter auch den größten Teil der seltenen Blutgruppen. Der Verlust würde die Blutbank mindestens für die nächsten eineinhalb Wochen lahmlegen, bis die regelmäßigen Spender wiederkommen konnten. Ich beschrieb einem Polizisten, an welche Blutsauger ich mich noch erinnerte, obwohl ich, seiner Miene nach zu urteilen, berechtigte Zweifel daran hatte, dass sie sich bei der Suche besonders viel Mühe geben würden.
»Sie werden nichts tun, oder?«, fragte Ysabel mich, nachdem die Polizei abgerückt war.
Ich verzog das Gesicht. »Tja, zwischen Rinaldo und Jimmy Walker sind die Räder so geschmiert, dass es ein Wunder ist, wenn sie nicht durchdrehen.«
»Rinaldo ist ein
Schlemihl.
Aber merk dir meine Worte: Wenn es so weitergeht, kann sogar unser alter ›Bürgermeister Herodes‹ nicht mehr wegsehen.«
Um nach Hause zu radeln, brauchte ich doppelt so lange wie normalerweise, weil mir einfach alles weh tat. Meine Hüfte
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