Moonshine - Stadt der Dunkelheit
schien bei dem Sturz ebenfalls einen Schlag abbekommen zu haben. Immerhin hatten mich Ysabels Worte auf eine Idee gebracht, und ich hatte nicht viel Zeit, um sie umzusetzen. So korrupt und unfähig Jimmy Walker auch sein mochte, hatte er dem Namen nach doch noch immer ein öffentliches Mandat. Wurde der Druck der Bevölkerung zu groß, dann würde er seine Politik ändern müssen. Wenn ich in dieser verdammten Stadt schon überall erkannt wurde, so konnte ich meine Bekanntheit auch für einen guten Zweck nutzen.
Aber zuerst musste ich mich frisch machen. Ein kurzer Blick in den Spiegel ließ mich zusammenzucken: Ich sah aus, als hätte ich bei einer Kneipenschlägerei den Kürzeren gezogen. Und das war gar nicht mal so abwegig. Ich wusch mich mit einem Schwamm mit lauwarmem Wasser und tat mein Bestes, um den Splitt aus der Wunde an meiner Schulter zu entfernen. Erst als ich in mein Zimmer zurückhumpelte, dämmerte mir die ernüchternde Wahrheit: Ich hatte nichts mehr zum Anziehen. Drei schlichte Röcke und fünf Blusen reichten mir unter normalen Umständen vollkommen aus, doch jetzt waren sie entweder mit Schlamm oder Blut getränkt – oder mit beiden. Ich hatte noch immer Aileens schickes Kleidchen, aber das konnte ich mitten am Tag wohl kaum tragen.
Ich zog meinen Kimono noch enger um mich und ging die Treppe hinunter, wobei ich das Geländer umklammerte, als wäre ich eine an Arthritis leidende Rentnerin. Mrs. Brodsky war im Wohnzimmer, als ich hineinschlurfte. Sie wirkte entsetzt, als sie mich so spärlich bekleidet erblickte, und ich wappnete mich für eine ihrer Schimpftiraden. Doch irgendetwas brachte sie dazu, den Mund zu halten.
»Ein Vampir?«, fragte sie nur.
O ja.
Ich hatte vergessen, dass ich fast so fürchterlich aussah, wie ich mich fühlte. »Ungefähr zwölf.«
Missbilligend schnalzte sie mit der Zunge. »Die anderen Mädchen haben anständige Jobs. Sie dagegen, Zephyr …«
Ich massierte mir erschöpft die Schläfen. »Es war eine furchtbare Woche. Dürfte ich bitte mal das Telefon benutzen?«
Ich rief im Büro des
Evening Herald
an und hätte weinen können, als Lily ans Telefon kam. Ich hätte nicht gewusst, was ich hätte tun sollen, wenn sie für einen Auftrag unterwegs gewesen wäre. Sie hingegen war eindeutig weniger begeistert, meine Stimme zu hören.
»Ich hatte gerade Besuch von einem Freund von den
Daily News
. Möchten Sie wissen, wie deren Titelstory lautet?
Vampirrechtlerin schlägt zurück: Unser Mädchen tritt dem Blutsaugerpack entgegen.
Sie haben ein unbezahlbares Spitzenbild dazu, Zephyr, auf dem Sie wie eine verdammte Walküre aussehen.«
»Verfluchter Mist.«
»Sie sollten eigentlich
meine
Quelle sein! Wenn Sie etwas unternehmen, sollte ich als Erste davon erfahren!«
»Es ist ja nicht so, als hätte ich das geplant, Lily!«
Sie seufzte. »Das habe ich mir schon gedacht. Wollten Sie nicht ursprünglich Vampiren
helfen
?«
»Es war eine entsetzliche Woche. Hören Sie, wenn Sie eine weitere Exklusivstory wollen, brauche ich Ihre Hilfe.«
Lily klang augenblicklich misstrauisch. »Wie soll die Hilfe denn aussehen? Sie wissen, dass ich keinen Verstoß gegen meine journalistische …«
»Ach, hören Sie auf, Lily. Ich brauche nur ein paar Klamotten.«
»Meine Rede.«
»Haha. Alles, was ich besitze, ist total schmutzig. Ich will Jimmy Walker in der Sitzungspause erwischen und ihm eine Szene wegen der
Faust
-Tumulte machen. Wenn man die Presse bedenkt, die ich in der letzten Zeit hatte, bin ich mir sicher, dass Sie daraus eine hübsche kleine Meldung stricken können. Was meinen Sie?«
Lily brauchte nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen. »Ich bin in einer halben Stunde da.«
Achtundzwanzig Minuten später stand die Journalistin in meinem Zimmer. Für mich sah es so aus, als hätte sie die Hälfte ihres Kleiderschrankes dabei, doch offensichtlich waren es nur ungefähr zehn Stücke, von denen sie sich (ausnahmsweise) trennen konnte.
Neidisch betrachtete ich ihr neuestes Outfit, ein schräg geschnittenes Kleid aus grünem Chiffon und Samt, mit vier dramatischen blauen Streifen, die sich diagonal bis zum Saum zogen und sich dann nach hinten schlangen. Ich wusste nicht, ob so etwas überhaupt zu mir passen würde und ob es eine gute Idee gewesen war, ausgerechnet Lily zu fragen. Schließlich schien es in dieser Gegend immer sicherer (und günstiger) gewesen zu sein, sich anzupassen und zweckmäßig zu kleiden. Dennoch verspürte ich in Lilys Nähe die
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