Moony Witcher - Nina 01 und das Geheimnis der Lagunenstadt
fasste jedoch Mut, nahm den ledernen Beutel und löste das Samtband, mit dem er verschlossen war. Im Beutel fand sie sechsundzwanzig kleine Würfel und Quader aus Eisen. Vorsichtig legte sie einen nach dem anderen in das Schälchen. Dann schaute sie sich die Behälter in den Regalen an. Alle waren streng nach Farbtönen geordnet und trugen ein Etikett mit einer genauen Beschreibung des Inhalts. Sie entdeckte zuerst den gelben Schwefel, dann eine Ampulle mit dem Quecksilber, und etwas weiter unten im Regal stand eine Flasche mit langem, ganz dünnem Hals, die das verflüssigte blaue Harz enthalten musste. Aber wo war der Drachenzahn? In den Schachteln und Schubladen des Labors fand sie keine Spur davon. Als sie schon fast aufgeben wollte, fiel ihr eine Pyramide von etwa 60 Zentimetern Höhe ins Auge, die neben dem Kamin, nah bei dem immer brennenden Feuer aufgebaut worden war. Sie bestand aus hartem, porösem und rauem Material und war von einem etwas verblassten Gelbton. Auf der Seite, die zur Wand zeigte, war die Pyramide beschriftet: »DRACHE« stand auf dem Etikett. Die Spitze konnte man wie einen Deckel abnehmen, und auf dem Boden der Pyramide, versteckt unter einem Büschel Stroh, fand Nina acht Drachenzähne. Sie waren grünlich mit ein paar grauen Schatten und so groß wie Trinkgläser.
»Bei allen Schokoladen der Welt, die sind wirklich echt!«, rief Nina und berührte sie vorsichtig mit den Fingerspitzen. Mit einer großen Kupferzange angelte sie einen davon aus dem ungewöhnlichen Behälter und legte ihn in das Schälchen. Dann begann sie sehr sorgfältig mit der alchimistischen Zubereitung und achtete genau auf die Anweisungen des Magischen Buchs.
Sie ließ die Uhr nicht aus den Augen, als sie sieben Minuten und vier Sekunden lang die Mischung umrührte. Der Zahn löste sich fast vollständig auf, während die Eisenteilchen zwar ihre Form bewahrten, aber jeweils eine andere Farbe annahmen. Nina wurde es wärmer und wärmer, so angespannt war sie, und ihre Backen waren inzwischen rot vor Anstrengung. Sie schüttete den Inhalt in den Kessel und ließ alles zusammen genau neun Sekunden kochen. Die Mischung hatte eine undefinierbare Farbe zwischen Lila und Blau und verströmte einen beißenden Gestank.
Ganz vorsichtig nahm sie den Kessel, der bestimmt gut drei Kilo wog, trug ihn zum Tisch, goss den Inhalt in die flüssige Seite und wartete ab. Aus dem Systema Magicum Universi entstieg eine violette Dampfwolke, und nach wenigen Sekunden erschienen dort, wo vorher das flüssige Blatt gewesen war, die sechsundzwanzig Buchstaben des Alphabets vom Sechsten Mond, als hätte sie jemand an unsichtbaren Häkchen im Nichts festgemacht. Sie bestanden aus einem leuchtenden Material, das ständig die Farbe wechselte. Im Hintergrund glaubte Nina eine Art Pergament zu erkennen, auf dem sich die Buchstaben nun in zwei Spalten anordneten: Neben jedem Buchstaben in der Schrift des Sechsten Mondes stand der entsprechende Buchstabe in lateinischer Schrift.
»Wunderbar! Großartig! Super! Bei allen Schokoladen der Welt, ich hab’s geschafft!«
Nina war mehr als zufrieden, sie bestaunte die Pergamentseite, die sich inzwischen vollständig vor ihren Augen materialisiert hatte. Sie bildete für Nina den Zugangscode, um die Welt von Xorax zu verstehen. Nina hob das Blatt aus dem Buch und legte es auf den Tisch. Es war noch warm, darum blies Nina sanft darüber und berührte mit den Fingerspitzen die Buchstaben, die sich ein bisschen von der Oberfläche abhoben und immer noch mehrfarbig schimmerten.
Voller Stolz auf ihre erste alchimistische Tat setzte Nina sich frohen Mutes auf den Hocker; erst jetzt merkte sie, dass ihr Magen knurrte.
Sie blickte zur Uhr; sie zeigte inzwischen dreizehn Uhr, zweiundvierzig Minuten und acht Sekunden an.
Oje, Nina hatte das Mittagessen ganz vergessen! Ljuba war mit Sicherheit schon böse auf sie.
Bevor Nina das Labor verließ, räumte sie noch alle benutzten Behälter ordentlich weg und legte das Alphabet des Sechsten Mondes neben das Magische Buch auf den Tisch. Sie schloss die Tür, schob die Glaskugel in ihre Tasche und lief in die Küche, wo ihre Kinderfrau gerade dabei war, Hund und Katze zu füttern.
»Da bin ich, Sahnetorte. Entschuldige bitte vielmals, dass ich zu spät komme«, sagte sie mit honigsüßer Stimme.
Ljuba sah sie nachsichtig an. »Du bist wie dein Großvater, der hatte auch kein Zeitgefühl. Aber du musst doch essen. Ich habe im Orangensaal für dich den Tisch gedeckt;
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