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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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Knochen unter der Haut spüren konnte. Es war, als wären sie Zeugen eines Zweikampfs – einer ungestümen, mörderischen Schlacht, bei der sich Lorcan und Jonathon Löcher in die Rüstungen rissen und dabei eine tiefe Finsternis enthüllten.
    Jetzt erst schien Lorcan zu bemerken, dass sie und Razi am Fußende des Bettes dicht aneinandergedrängt standen und alles mit verängstigten Kindergesichtern verfolgten.
    »Schaff sie raus«, zischte er. »Schaff sie schleunigst hier raus.«
    Entgeistert wandte sich Jonathon zu ihnen um, als hätte auch er vergessen, dass sie noch da waren. »Raus!«, schrie er. »Raus hier!«
    Wynter spürte, dass sich Razi widersetzen wollte. Immer noch hielt er ihre Hand fest umklammert, schob sich aber leicht nach vorn, so dass sie hinter ihm stand. Er sagte kein Wort, doch der König musste den Trotz von seiner Miene abgelesen haben, denn er zog die Lippe hoch, und seine Kieferknochen traten hervor.
    Wenn er Razi jetzt schlägt, dachte Wynter, dann schlägt Razi zurück. Dann hält er nicht mehr an sich. Und dann wird sich
der König eine Woche lang nicht mehr an seinen eigenen Namen erinnern.
    Sie glaubte nicht, dass Jonathon eine Vorstellung davon hatte, wie viel rohe Kraft sich in Razis sehnigem Körper verbarg.
    »Raus mit euch!« Lorcan wedelte wild mit den Armen. »Raus!«
    »Bitte, Razi.« Beunruhigt zupfte Wynter an seiner Hand, den Blick auf Lorcans furchtbare Gesichtsfarbe geheftet, auf seine zitternden Fäuste.
    Razi folgte ihrem Blick. »Lorcan …«, flüsterte er hoffnungslos.
    »RAUS JETZT!«, brüllten beide Männer wie aus einem Mund, und ihre Kinder flüchteten eilig aus dem Zimmer. Jonathon schubste sie hinaus in den Gang und warf donnernd die Tür zu. Einen winzigen Moment später hörten sie erneut Gebrüll aus Lorcans Kammer, als die beiden wieder aufeinander losgingen.
    Mit betont unbeteiligten Gesichtern beobachteten die Wachen Razi und Wynter, ihre Speere blitzten im schräg einfallenden Licht. Razi starrte die Tür an, seine Haltung war angriffslustig, sein Atem ging rasch. Er konnte sich kaum noch beherrschen.
    Wynter betrachtete ihrerseits die Soldaten. Schon nach dem Vorfall auf dem Hügel waren sie aufgebracht gewesen, und das Gebrüll aus Lorcans Kammer reizte sie nun bis aufs Blut. Wenn sich Razi dem König offen entgegenstellt ...
    Sie fühlte, wie er zitterte, wie die Wut in ihm toste, als wäre sie ein reißender Fluss. Wenn er sich dem König widersetzte, dann würden alle Dämme brechen, dann gäbe es nur noch Gewalt. In seiner jetzigen Verfassung würde Razi zu Ende bringen, was er angefangen hatte, und das wäre Hochverrat.
Er würde gehenkt, gestreckt, gevierteilt werden, ohne Gnade, ohne Aufschub.
    »Razi«, sagte sie leise und zog an seiner Hand.
    Zur Antwort grunzte er, löste die Hand aus ihrer und streckte sie nach der Klinke aus.
    Urplötzlich verstummte das Geschrei. Beide erstarrten und überlegten fieberhaft, was wohl in dem nun totenstillen Raum geschah. Wynter musste ein ängstliches Wimmern unterdrücken. Vergeblich horchten sie auf irgendeinen Laut. Schon hob Razi wieder die Hand an die Tür, da flog sie nach innen auf, und Jonathon stand vor ihnen, das Gesicht verzerrt.
    »Hilf ihm«, sagte er.
    Sofort rannte Razi am König vorbei, und Wynter folgte.
    »Ich habe ihn umgebracht, nicht wahr? Er ist tot!« Die Furcht und Reue in Jonathons Stimme hätten Wynter sprachlos gemacht, hätte Lorcan nicht ihre gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch genommen.
    »O Gott, Razi! Razi! Er ist tot!«
    »Pst!« Razi hob eine Hand, und sie zwangen sich, ganz still zu sein. Mit grimmiger Miene beugte er sich über Lorcan. Dann wühlte er hastig in seiner Tasche und zog seinen kleinen Holztrichter und einen Spiegel hervor.
    »Sohn …«, begann Jonathon, doch Razi fuhr ihn an: »Halt den Mund!«
    Gefügig trat der König zurück, presste die Lippen aufeinander und beobachtete mit Tränen in den Augen, wie Razi den kleinen Spiegel über Lorcans leicht geöffneten Mund hielt.
    Eingehend und mit gerunzelter Stirn überprüfte Razi den Spiegel. Dann setzte er den Trichter auf Lorcans Brustkorb und lauschte. Wynter klammerte sich an das Brett am Fußende
des Bettes und hielt den Atem an. Sie riss sich zusammen, so als könnte sie, wenn sie nur leise und regungslos genug blieb, ebenfalls hören, was Razi aufzuspüren suchte.
    Lorcan war unbeweglich wie ein Felsbrocken. Seine Wimpern, seine Augenbrauen und die zarten Bartstoppeln auf den unrasierten Wangen

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