Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
Vom Netzwerk:
Schoß fallen. Geh zu Marni. Lass dir etwas Anständiges zu essen geben. Wie viele Hundert Mal hatte sie diesen Satz von ihrem Vater gehört? Seit Jahren nun natürlich nicht mehr, doch bis zu ihrem Exil war es eine gewohnte, alltägliche Anweisung gewesen, der Auftakt zu ungezählten Ausflügen in die Küche. Ausflügen, die sie anfangs schwankend auf speckigen kleinen Beinchen unternommen hatte, später fröhlich hüpfend und mit aufgeschürften Knien, und schließlich im Galopp und mit dem sprudelnden Überschwang der Jugend. Ausflüge, die sie zwar fast immer allein antrat, die aber von den beiden ehernen Grundpfeilern in ihrem Leben flankiert wurden – Lorcan und Marni. Geborgenheit und Kraft warteten an beiden Enden dieses Wegs, und das Wissen um ihr Dasein reichte stets aus, um Wynter durch die furchteinflößenden, manchmal gefährlichen Schlossflure zu tragen.
    Wie viel Zeit bleibt mir noch? , fragte sie sich und sah ihren Vater an. Mit dir als Freund und Festung?
    »Hör auf, im Geiste schon Grabreden zu dichten«, murmelte er, die Mundwinkel emporgewölbt. Diesen alten Witz machte er immer, wenn sie sich in Gedanken verlor. Doch heute kam er der Wahrheit zu nahe, und er begriff es im selben Moment.
    »Hast du Hunger?«, fragte sie so gelassen wie möglich.
    »Und wie! Ich verhungere!«
    Sie lachte froh und tätschelte seinen Fuß. »Wie würden Eier, Weißbrot und Kaffee klingen?«
    Er machte ein gieriges Geräusch, und sie hüpfte vom Bett. Doch da fiel ihr etwas ein, und sie blieb an der Schwelle stehen. Es mochte nicht der rechte Zeitpunkt ein, doch der furchtbare Streit des gestrigen Abends nagte immer noch an
ihr, und sie musste einfach fragen. »Vater«, begann sie, »wegen dieser … wegen dieser …«
    »Still!«, herrschte er sie an, die Augen riesig und angsterfüllt. »Wynter, du darfst diese Maschine niemals wieder erwähnen. Hast du mich verstanden? Nicht einmal im Vertrauen, nicht einmal mir gegenüber. Solange du über den gestrigen Abend schweigst, bist du in Sicherheit. Aber Wyn, eines musst du begreifen … Falls jemals herauskäme, dass du mehr darüber weißt oder mehr darüber zu erfahren suchst, würde Jonathon dich töten. Und auch Razi.« Er sah ihr eindringlich in die Augen und senkte die Stimme beinahe zu einem Flüstern, als könnten die Wände, das Bett oder die Raben auf dem Dach sie belauschen und verraten. »Oliver hat er bereits zugrunde gerichtet, und Alberon tilgt er aus der Geschichte. Alles, was er sich je für den armen Razi wünschte, hat er zerstört. Und sie alle liebte er, mein Schatz. Er liebt sie noch heute. Doch du bedeutest ihm nichts. Verstehst du? Er würde dich auslöschen – einfach so!« Er schnippte mit den Fingern. »Und dein Verlust wäre ihm gleichgültig. Also bitte! Gib ihm keinen Grund. Lass nicht zu, dass ein Fehler, den ich in meiner Jugend beging, mich das einzige Leben kostet, das mir teuer ist.«
    Sie blinzelte, antwortete aber nicht.
    Schwerfällig hob er den Kopf vom Kissen. »Wynter« , zischte er. »Bitte!«
    »Was, wenn der König Unrecht hat? Was, wenn …«
    »Das kümmert mich nicht. Er kann dir nicht wehtun, das werde ich nicht erlauben.« Seine Stimme klang tonlos, aber unbeirrbar. »Es kümmert mich nicht, ob er das Königreich vernichtet, Wyn. Es kümmert mich nicht, ob er sich selbst vernichtet. Solange er dir kein Leid zufügt.«
    Wynter wusste, dass das nicht stimmte – beides würde Lorcan
das Herz brechen. Doch sie verstand, was er meinte. Im Gegensatz zu Jonathon war Lorcan nicht gewillt, das, was er liebte, zugunsten eines Königreichs zu opfern – gleich wie einzigartig, wie hell und strahlend dieses Königreich auch sein mochte. Lorcan würde Wynter immer an die erste Stelle setzen; sie war der Preis, den er niemals freiwillig bezahlen würde.
    »Ist gut, Vater«, willigte sie sanft ein. »Wir werden nie wieder davon sprechen.«
    Endlich lockerte er die geballten Fäuste und ließ den Kopf zurück auf das Kissen sinken. Sie lächelten einander an, dann zog Wynter die Augenbrauen zusammen und hielt ihm den Zeigefinger unter die Nase. »Und du bleibst im Bett!«, befahl sie und machte sich auf den Weg.
     
     
    Aus Razis Gemächern kamen drei Brunnenmägde, und drei weitere warteten schon vor der Tür. Die schweren Kübel dampften zart in den morgendlichen Sonnenstrahlen. Wynter runzelte die Stirn. Es war sehr früh, um sich ein Bad einzulassen. Die Wasserknechte waren sicher nicht gut auf Razi zu sprechen; er musste sie

Weitere Kostenlose Bücher