Moorehawke 02 - Geisterpfade
brechen wir alle sauber und fröhlich auf und …«
»Christopher?«, unterbrach Razi ihn misstrauisch. »Wer war dieser Mann?«
»Iss doch mal deinen Kuchen, Razi«, schlug Christopher vor, während er das Geschirr zusammenräumte. »Lass dich von der Sonne trocknen. Ich bin nur kurz in der Küche, zahle unsere Rechnung, lasse die Pferde satteln und stocke unsere Vorräte auf. Und du bleibst hier und beschützt Wynter vor weiteren bösartigen Dreckskerlen. Was hältst du davon?«
Razis Gesicht hellte sich auf. »Ach so!« Teilnahmsvoll sah er Wynter an – offenbar dachte er, dass der Räuber versucht hatte, einen heimlichen Blick auf sie zu erhaschen. »Schon gut, Schwesterchen«, sagte er sanft. »Der kommt bestimmt nicht mehr zurück. Wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass du in Begleitung bist. Geh ruhig rein.« Er trat zur Seite und hielt ihr die Tür auf. »Ich passe hier auf, einverstanden?« Seine Stimme war so gütig und seine Augen so müde, dass Wynter ihn am liebsten gepackt und an sich gedrückt hätte. Doch sie reichte ihm nur seinen Kuchen und Most heraus, und er zog die Tür zu.
Sie hörte Christopher etwas murmeln und Razi eine kurze
Entgegnung knurren. Durch die Spalte zwischen den von der Sonne ausgetrockneten Holzbalken konnte sie seine hoch aufragende Gestalt sich hinsetzen und an die Wand lehnen sehen. Sie löste ihren Zopf und ließ das strähnige Haar offen auf den Rücken fallen.
»Ich bin noch hier, Wyn«, rief er plötzlich. »Alles ist gut.«
Sie lächelte. »Ich weiß, Razi. Danke. Iss deinen Kuchen, ja?«
Erneut hörte sie ihn seufzen; ein Scheppern ertönte, als er seinen Teller aufhob. Nicht nur anschauen , dachte sie. Essen .
Endlich stieg sie die Stufen hinauf und ließ sich dankbar in das immer noch heiße Wasser gleiten, schloss die Augen und ließ sich forttreiben.
Ihr Haar war schon halb in der Sonne getrocknet, als Christopher eilig über die Obstwiese gelaufen kam und den Pfad zum Badehaus einschlug. Er war so lange weg gewesen, dass sich Wynter und Razi schon ernstlich gesorgt hatten. Nun zog er im Gehen das Oberhemd aus und zerknüllte es in der Hand, dann löste er die Schleife des Unterhemds. Während er die Tür zur Hütte mit dem Ellbogen aufstieß, flocht er sein Haar auf, so dass es in einem schweren Strang über seine Schultern auf den Rücken fiel.
»Dauert nicht lang«, sagte er knapp.
Im Nu kam er wieder heraus, das Haar triefend, die Kleider feucht, da er sie über die tropfnasse Haut gezogen hatte. Augenblicklich begann er, seine Sachen zusammenzusammeln.
»Kommt«, sagte er. »Es wird spät.« Er streifte seinen Ranzen über, schlang sich Armbrust und Köcher über den Rücken und schulterte die Satteltaschen. »Jetzt kommt schon!«, herrschte
er sie an, und Wynter und Razi erstarrten ob der ungewohnten Schärfe in seiner Stimme.
Als er den Kopf hob und bemerkte, dass sie ihn unverwandt anstarrten, wich er ihrem Blick aus. »Wir müssen weiter«, wiederholte er. »Es ist schon spät.«
Aus dem Augenwinkel schielte Wynter zu Razi; der zuckte nur die Achseln, und sie beeilten sich, ihre Habseligkeiten zu packen. Sie würden nicht trödeln. Wenn Christopher unbedingt aufbrechen wollte, dann würden sie eben aufbrechen.
Der Hof der Schenke lag still, als sie ihre Pferde holen gingen. Die Teerbrenner waren nach ihrer Mahlzeit träge. Hinter dem Haus saßen einige Männer auf Bänken und dösten oder rauchten ihre Pfeifen, die Mostseidel neben den Füßen auf dem Boden, doch sie hoben kaum die Köpfe, als die drei Reisenden aus dem Stall geritten kamen.
Fast hatten sie das Tor passiert, als eine Frau in einem der Gebäude hinter dem Gasthaus zu schreien und zu klagen anhub. Wynter drehte sich um und sah die schläfrigen Männer nach und nach auf die Beine kommen. Je näher die Frau dem Innenhof kam, desto deutlicher war ihr Geheul zu verstehen, und Razi zügelte sein Pferd und sah sich um.
»… braucht Hilfe! Jemand muss ihm helfen! Holt Hilfe!«
Sofort wollte Razi umkehren, er hatte schon den Mund geöffnet, um zu rufen, er sei Arzt, doch Christopher hielt ihn am Handgelenk fest. Razi verstummte und zügelte sein tänzelndes Pferd.
»Du kannst nichts mehr tun«, sagte Christopher leise. »Der Bursche war unvorsichtig, ist unter eines der Teerfässer geraten. Er ist jetzt nur noch ein Geist.« Bei diesen Worten blickte er Wynter an. »Verstehst du, mein Liebling? Nur ein Geist.«
Damit ließ er Razis Handgelenk los und
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