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Moorehawke 02 - Geisterpfade

Moorehawke 02 - Geisterpfade

Titel: Moorehawke 02 - Geisterpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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ausmachte, der mit dem armen Mädchen auf den Armen davonrannte. Kurz erhaschte sie einen Blick auf die Augen des Kindes – riesig und zu Tode erschrocken blitzten sie über einer großen Hand auf, die ihm den Mund verschloss. Die Empörung, die in Wynter aufloderte, erstickte allen gesunden Menschenverstand; sie drehte sich um und brüllte etwas auf Hadrisch, in der Hoffnung, die Männer in der Scheune würden sie hören. Dann rannte sie wider jede Vernunft in die Finsternis des Waldes.
    Sie konnte den Mann vor sich durch die Schatten huschen sehen. Er hatte sich das Kind über die Schulter geworfen und jagte leichtfüßig durch die Bäume. Stumm vor Schreck starrte das kleine Mädchen Wynter an, das bleiche Gesicht auf und ab hüpfend. Da drehte sich der Mann um. Wynter sah ihn grinsen und begriff entsetzt, dass sie sich allein in den Wald hatte locken lassen. O mein Gott! Sie blickte sich um – nichts als Bäume. Als sie den Kopf wieder nach vorn drehte, waren der Mann und seine Geisel verschwunden.
    Wie angewurzelt blieb Wynter stehen und horchte. Um sie herum ein Raunen und Seufzen, dann das Heulen und Rufen von Tieren. Sie ging leicht in die Hocke, den Dolch erhoben, und die Nacht umfloss sie wie ein lebendiges Wesen.
    Los doch! , dachte sie, wollte sich umdrehen und wegrennen.
    Der erste Hieb kam aus dem Nichts, ein heftiger Schlag, der sie an der Wange traf. Ihr Kopf wurde zur Seite gerissen; ihr Körper taumelte. Blind zog sie den Dolch hoch und hörte zu ihrer Befriedigung, dass jemand aufjaulte. Dann traf sie ein zweiter Schlag in die Nieren, und der Schmerz breitete
sich wie eine Lähmung von unten nach oben aus. Irgendetwas donnerte mit Wucht zwischen ihre Schulterblätter und schleuderte sie nach vorn, so dass ihr Kopf verblüffend hart gegen einen Baumstamm krachte. Sie sah Sterne, in ihren Ohren summte es, und die Welt wälzte sich über sie hinweg, während ihr Laub und Erde in Mund, Augen und Nase drangen.
    Etwas packte sie am Hemdrücken. Wynter würgte, und ihr Kragen schnürte ihr die Luft ab, als sie vom Boden aufgehoben wurde. Starke Arme schlangen sich um ihren Leib, und jemand kicherte, während sie fest an einen kräftigen Körper gezogen wurde. Sie fühlte sengend heißen Atem in ihrem Ohr, scharfe Zähne und Pelz an ihrer Wange. Dann flog eine Gestalt durch die Luft auf sie zu, lang und hoch und schnell. Alles stürzte rückwärts, der harte Boden trieb Wynter bei ihrem erneuten Aufprall die Luft aus den Lungen. Abermals barsten Funken in ihrem Kopf, dann wurde sie von Finsternis zugedeckt.
    Es gab nur Geräusche, ein Grunzen, Handgemenge. Dann ein dumpfes, schmerzhaftes Krachen, als etwas über sie hinwegrollte, und den Klang von schweren, fliehenden Schritten.
    »Komm schon, mein Mädchen!« Diese Stimme. Seine Stimme. Sein melodiöser Nordländerakzent, der ihr drängend ins Ohr raunte. Die Bäume schaukelten und schwankten um sie herum, als sie aus der Finsternis gezogen wurde, und sie spürte seine starken Arme um ihren Leib, während er versuchte, sie auf die Füße zu stellen. »O mein Gott«, murmelte er. »Komm schon, Wynter! Steh auf! Sie sind überall um uns herum!«
    Ihre Beine waren fort. Sie waren ganz allein weggelaufen, und Wynter hatte nichts mehr, worauf sie stehen konnte. Jedes Mal, wenn er sie aufrichtete, tat sich unter ihr ein leerer
Raum auf, und sie wurde zurück ins welke Laub gesaugt. Wo waren all ihre Knochen? Sie spürte sich durch seine Arme tröpfeln und wieder auf den Waldboden sacken, wann immer er versuchte, sie vorwärts zu bewegen. Es tut mir so furchtbar leid , dachte sie. Ich bin offenbar kaputt .
    »O Gott, o Gott!«, stöhnte er, sie hörte Tränen in seiner Stimme.
    Ist schon gut , dachte sie. Mach dir keine Sorgen, mein Liebster. Razi macht mich wieder heil .
    Ein verzweifelter Laut entrang sich seiner Kehle, er drückte sie an seine Brust und ging tief in die Hocke. Wynter versuchte, den Arm zu heben, um ihn tröstend zu tätscheln, doch er machte wieder das verzagte Geräusch und legte ihr die Hand auf den Mund.
    Offenbar kauerten sie an einem Baum. Wynter lehnte den Kopf an den hellen Stoff seines Unterhemds und betrachtete den glatten Bogen seines Kiefers. Er starrte hinaus in die Dunkelheit. Sein Haar fiel ihm in die Augen.
    Plötzlich blickte er auf sie herab und machte: »Psssst.«
    Irgendwo in den Bäumen heulten Tiere, er schrak zusammen und ächzte. Schwärze zog über sie hinweg wie eine sirrende Wolke. Wieder schaukelte die Welt,

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