Moorseelen
mir leid«, murmelte ich. Doch eine Sekunde lang durchflutete mich Erleichterung: Deswegen war Zeno also gestern Nacht so schnell verschwunden! Dass zwischen unserem kleinen Abenteuer und Devas Rückkehr zirka vier Stunden gelegen hatten, die Zeno sehr wohl bei mir hätte verbringen können, verdrängte ich. Stattdessen flog mein Blick unwillkürlich zur Tür, als erwartete ich, ihn gleich hereinkommen zu sehen.
»Er hatte noch was zu erledigen«, gab Deva Antwort auf meine nicht gestellte Frage. Prompt wurde ich wieder rot.
»Tja, ich sollte wohl langsam mal zum Frühstück gehen«, sagte ich, um meine Unsicherheit zu überspielen und verdrückte mich mit einem hastig gemurmelten »Tschüss«.
Statt jedoch Zeno im Essraum über den Weg zu laufen, stolperte ich beim Betreten fast über Nick, der zeitgleich hinauswollte. »Na, gestern noch einen schönen Abend gehabt?«, ätzte er mit einem giftigen Blick.
Mir wurde heiß und kalt. Hatte er etwa irgendetwas von meiner Nacht mit Zeno mitbekommen? Und wussten die anderen Bewohner auch davon? Am liebsten hätte ich Nick gefragt. Ehe ich aber noch etwas erwidern konnte, kam Urs angestapft. Wortlos drückte er sich an mir vorbei.
»Mach dich fertig, wir sind heute im Gemüsegarten eingeteilt«, bellte er Nick an. Der verdrehte nur die Augen, nickte aber ergeben und trottete Urs hinterher.
Auch während meines Küchendienstes, den ich zur Abwechslung heute mit Aryana und Juli absolvierte, tauchte Zeno nicht auf. Auch nicht zum frühen Abendessen. Als wir uns danach alle zum Meditieren trafen, erschien an seiner Stelle Kali und trug uns auf, eine Stunde lang in uns zu gehen.
»Zeno hat gesagt, wir sollen uns in der schweigenden Meditation auf feinstofflicher Ebene miteinander verbinden«, gab Kali seine Anordnung an uns weiter. Also war er offensichtlich da, aber er ließ sich nicht blicken. Meinetwegen? Die Meditationsstunde geriet zur Qual, und es lag nicht an der unbequemen Sitzhaltung, in der wir verharrten. Ich musste nur die Augen schließen, dann spürte ich Zenos Gewicht wieder auf mir – und schon schoss mir das Blut in die Wangen und ich biss mir auf die Lippen. Egal was ich tat, ich wurde die Bilder von uns beiden auf dem zerwühlten Bett nicht los. Und die Erkenntnis, dass etwas nicht stimmte. Eigentlich hatte sich mein geheimster Traum erfüllt. Doch statt Glück verspürte ich jedes Mal, wenn ich an die Nacht mit Zeno dachte ein anderes Gefühl: Ernüchterung.
Quälend langsam flossen die Minuten der Meditationsstunde dahin, zäh und klebrig wie Harz, während mir düstere Gedanken über Zeno und unsere gemeinsame Nacht durch den Kopf schwirrten. Hatte es ihm überhaupt etwas bedeutet? Bedeutete
ich
ihm wirklich etwas? Aber aus welchem Grund hätte er sonst auf das Zusammensein in Devas Haus mit mir gedrängt? Es war ihm nicht um schnellen Sex gegangen, das sagte mir mein Gefühl. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, mir jenen Moment, in dem ich ihm so nahe gewesen war wie noch keinem Jungen zuvor, ins Gedächtnis zu rufen. Zenos Berührungen, sein Gesichtsausdruck, seine Bewegungen.
Je klarer und schärfer die Bilder der vergangenen Nacht wurden, desto mehr schlich sich eine Erkenntnis in mein Bewusstsein: Er hatte nicht den Eindruck gemacht, die Nacht mit mir zu genießen. Er schien eher eine Pflicht zu erfüllen. Vielleicht war er auch deswegen so schnell abgehauen.
Zeno liebt dich nicht
, zischte die gehässige Zweiflerin tief in mir. Ein kalter Stich ging durch mein Herz. Gereizt wünschte ich mir, ich könnte sie zum Verstummen bringen. Schnell dachte ich an unser Treffen im Garten, an Zenos Kuss. Und dass er behauptet hatte, eifersüchtig zu sein, wenn ich mit Nick flirtete. »Ich brauche dich, Feline«, waren seine Worte gewesen. Sollte das etwa alles Lüge gewesen sein?
Als Kali endlich aufstand und den erlösenden Gong schlug, hatten es alle eilig, aufzustehen. Nur ich trödelte absichtlich herum, räumte akribisch mein Meditationskissen weg und zupfte mir umständlich imaginäre Flusen von meinem T-Shirt. Zusammen mit Kali verließ ich als Letzte den Raum. Als sie die Tür hinter sich abgeschlossen hatte, fasste ich mir theatralisch an die Stirn.
»Ich habe totale Kopfschmerzen. Ich glaube, ich gehe zu Deva und bitte sie, mir was zu geben«, murmelte ich mit meiner Sterbender-Schwan-Stimme, die ich bisher nur bei meinem Vater angewendet hatte, wenn ich keine Lust auf Schule hatte. »Soll ich den Schlüssel gleich mitnehmen und ihn
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