Mops und Möhren
auf so einer kleinen Insel lernen sich Menschen eines Jahrgangs zwangsläufig schon im Windelalter kennen – und zwar GUT kennen. Eigentlich ausgeschlossen, dass Arne heute einen romantischen Abend verbringt. Einigermaßen beruhigt beende ich das Telefonat und kuschle mich zurück in die Kissen.
Die Tür zu Chris’ Zimmer geht auf. Um die Hüfte hat er ein Handtuch geschlungen, der Rest meines Mitbewohners ist nackt. Dafür bräuchte er eigentlich einen Waffenschein! Ich pfeife ihm in bester Bauarbeitermanier hinterher. Chris lässt seine Hüften schwingen, wackelt mit dem Po und wirft, ganz Tucke von Welt, den Kopf in den Nacken. Dann schwebt er ins Bad. Sekunden später rauscht die Dusche. Dann klappert die Verbindungstür zwischen den Zimmern der Jungs, und kurz darauf wird Michael Jackson von Katie Melua abgelöst. Perfekte Dösmucke. Nach dem zweiten Song fallen mir die Augen zu. Beim dritten quieken die Schlümpfe los. Im Halbschlaf und in Gedanken ganz bei meinem privaten Doktor Schiwago greife ich nach dem Apparat.
»Ahoi, mein sexy Seemann«, hauche ich ins Telefon.
Hemmungsloses Schluchzen ist die Antwort.
»Hallo?«
Ich höre, wie jemand die Nase hochzieht.
»Frau Jirak? Ist was mit Alice?« Schlagartig bin ich hellwach. Was, wenn die Katze dieses Mal wirklich die letzte Maus gefressen hat?
»Kikiiiiiii«, kommt als Antwort.
»Bitte? Wer ist denn da?«
»Nina Pukallus … und Kiki … Atmet nicht mehr … «
»Wer ist Kiki?«
»Meine Ratte … «
»Das tut mir leid, aber die Tierrettung ist erst nächste Woche im Einsatz.«
»Dann brauch ich euch nicht mehr«, patzt Nina Pukallus. »Kiki ist jetzt tot, und spätestens übermorgen riecht sie auch nicht mehr so fein.«
»Moment mal, wir sind für die lebenden Tiere zuständig«, gebe ich zurück.
»Ja, toll, da spende ich die ganze Zeit was für euch und wenn ich einmal Hilfe brauche … das ist das Letzte. Das Allerletzte!« Zack. Die Verbindung ist weg.
Ich starre auf das Display. Diese Nina war der Stimme nach ziemlich jung. Und ziemlich verzweifelt. Auch wenn ich selbst mit Ratten als Schmusetier nichts anfangen kann – Tier ist Tier und Spender ist Spender. Ohne Leute wie diese Nina könnte die Tierrettung nicht existieren. Ohne weiter zu überlegen schwinge ich die Beine vom Sofa und schlüpfe in meine Sneakers. Im Runtergehen suche ich die Anruferliste und wähle Ninas Nummer. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass die olle Frau Stiller hinter der halb geöffneten Tür steht und ins Treppenhaus glotzt. Unsere hauseigene Staatssicherheit funktioniert also.
»Also gut, ich komme«, sage ich, als Nina abnimmt. »Wo wohnen Sie?« Nina sagt mir eine Adresse nur zwei Querstraßen weiter. Ich zünde mir eine Kippe an und bin wenige Minuten später da. Im dritten Stock schaut ein roter Lockenschopf aus dem Fenster. Selbst von hier unten kann ich erkennen, dass die Augen so rot geheult sind, dass sie leuchtender sind als die Haare.
»Ich mache auf«, ruft Lockenschopf und schon ertönt der Summer. Was ich von unten nicht sehen konnte: Nina ist höchstens zwölf.
»Äh … wie alt bist du denn?«
»Elf«, sagt Nina. »Und ich hab schon drei Mal mein halbes Taschengeld gespendet.«
Ich atme tief ein. Und wieder aus. Ich kann mit Tieren. Ich kann mit Schwuchteln. Aber ich kann nicht mit Kindern.
»Okay«, sage ich lahm. »Wo ist denn … Kiki?«
»In ihrem Käfig«, sagt Nina und verschwindet in der Wohnung. Ich gehe hinter ihr her. Am Ende des Flurs biegt sie ab und öffnet die Tür, an der Hannah Montana als Starschnitt klebt. Die Tochter von Billy Ray Cyrus glotzt mich aus viel zu blauen Augen an.
»Da.« Nina zeigt auf den Käfig, über dem ein blaues Duschtuch liegt. Sofort schießen dem Mädel wieder die Tränen in die Augen. Sie wischt sie mit dem Ärmel weg und schnieft.
»Mach du das«, sagt sie leise. Also gehe ich zum Käfig und hebe das Tuch hoch. Mitten auf der Einstreu liegt eine weiße Ratte, die Beinchen steif nach oben gestreckt. Die winzige Zunge hängt aus dem Maul und die toten Augen starren ins Nichts. Nina ist leise hinter mich getreten. Als sie Kiki erblickt, heult sie auf. Dann wirft sie sich in meine Arme. Der kleine Körper wird vom Weinen geschüttelt. Mein Shirt wird nass, wo Nina ihre Nase dagegen drückt. Prima. Kinderrotze auf dem letzten gebügelten Shirt. Ich werde nachher noch waschen müssen.
Minutenlang stehen wir so da. Irgendwann wird das Schluchzen leiser und geht in einen Schluckauf über.
»Wo
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