MoR 02 - Eine Krone aus Gras
überhaupt empfangen?
»Ich möchte Cornelia Scipionis sprechen«, sagte er.
Der Türsteher, der schon dazu angesetzt hatte zu erklären, der Hausherr sei nicht zu Hause, nickte. Drusus wurde ins Atrium geführt und mußte dort einen Augenblick warten.
Er erkannte die eintretende ältere Frau zunächst nicht wieder. Ihr graues Haar war zu einem wenig schmeichelhaften Knoten zusammengebunden, ihre Kleider sahen schäbig aus und waren mit wenig Bedacht auf Farbzusammenstellungen ausgewählt, und sie hatte eine untersetzte Gestalt und ein ziemlich häßliches und zerfurchtes Gesicht. Sie sah aus wie eine der vielen Büsten des Scipio Africanus, die das Forum zierten. Und das war auch kein Wunder, schließlich waren die beiden eng miteinander verwandt.
»Marcus Livius?« fragte sie mit einer wunderbar weichen, tiefen Stimme.
»Ja.« Er wußte nicht, was er als nächstes sagen sollte.
»Wie sehr du doch deinem Vater gleichst!« rief sie, offenbar ohne daß ihr dies mißfiel.
Sie setzte sich auf den Rand einer Liege und zeigte auf einen gegenüberstehenden Stuhl. »Setz dich, mein Sohn!«
»Du fragst dich sicher, was mich hierher führt«, sagte er und spürte, wie sich in seinem Hals ein riesiger Knoten bildete. Seine Gesichtsmuskeln waren angespannt, und er bemühte sich verzweifelt, Haltung zu bewahren.
»Etwas sehr Ernstes«, erwiderte sie, »soviel ist sicher.«
»Es geht um meine Schwester. Sie liegt im Sterben.«
Eine Veränderung vollzog sich in ihr, sie erhob sich augenblicklich. »Dann dürfen wir keine Zeit verlieren, Marcus Livius. Ich sage nur meiner Schwiegertochter Bescheid, dann machen wir uns auf den Weg.«
Er wußte nicht einmal, daß sie eine Schwiegertochter hatte. Vielleicht wußte sie auch nicht, daß seine Frau tot war. Seinen Bruder kannte er vom Sehen, er war ihm des öfteren auf dem Forum begegnet, hatte jedoch noch nie mit ihm gesprochen. Mamercus war zehn Jahre jünger als er und hatte damit noch nicht das zum Eintritt in den vorgeschriebene Älter. Aber offensichtlich war er verheiratet.
»Du hast eine Schwiegertochter«, sagte er, als sie das Haus verließen.
»Ja, seit kurzem.« Cornelia Scipionis wunderbare Stimme war plötzlich tonlos. »Mamercus hat letztes Jahr eine Schwester von Appius Claudius Pulcher geheiratet.«
»Meine Frau ist gestorben«, sagte Drusus abrupt.
»Das habe ich gehört. Jetzt tut es mir leid, daß ich dich damals nicht besucht habe. Aber ich glaubte nicht, daß du dich in Zeiten der Trauer über meinen Besuch freuen würdest, und ich bin sehr stolz. Zu stolz, ich weiß.«
»Ich hätte zu dir kommen sollen, oder?«
»Wahrscheinlich.«
»Daran habe ich nicht gedacht.«
Sie verzog das Gesicht. »Das kann ich verstehen. Es ist interessant, daß du wegen deiner Schwester zu mir kommst, aber nicht wegen dir selbst.«
»So ist das eben. Oder zumindest in unserer Welt.«
»Wie lange hat meine Tochter noch zu leben?«
»Das wissen wir nicht. Die Ärzte meinen, es kann nicht mehr lange gehen, aber sie ist eine Kämpfernatur. Auf der anderen Seite fürchtet sie sich vor etwas. Ich weiß nicht, vor was oder wem. Römer haben keine Angst vor dem Sterben.«
»Zumindest reden wir uns das ein, Marcus Livius. Aber hinter der Fassade der Furchtlosigkeit lauert immer die Angst vor dem Unbekannten.«
»Der Tod ist doch kein Unbekannter.«
»Glaubst du? Vielleicht ist das Leben einfach zu schön.«
»Manchmal.«
Sie räusperte sich. »Warum nennst du mich nicht Mutter?«
»Warum sollte ich? Du bist von zu Hause weggegangen, als ich zehn und meine Schwester fünf war.«
»Ich konnte es keine Sekunde länger mit diesem Mann aushallen.« »Das überrascht mich nicht«, sagte er trocken. »Er war kein Mann, der sich einen Kuckuck ins Nest setzen läßt.«
»Ist das eine Anspielung auf deinen Bruder Mamercus?«
»Auf wen sonst?«
»Er ist dein richtiger Bruder, Marcus Livius.«
»Das sagt meine Schwester auch immer über ihren Sohn. Aber man braucht den jungen Caepio nur anzusehen, und selbst der größte Trottel erkennt, wessen Sohn er ist.«
»Dann mußt du dir Mamercus einmal etwas genauer ansehen. Er ist ein echter Livius Drusus, kein Cornelius Scipio.« Sie hielt kurz inne, dann fügte sie hinzu: »Und auch kein Aemilius Lepidus.«
Sie waren vor dem Haus des Drusus angelangt. Der Türsteher öffnete die Tür, und Cornelia Scipionis sah sich ehrfürchtig um.
»Ich war noch nie hier«, sagte sie. »Dein Vater hatte wirklich einen guten
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