MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Geschmack.«
»Schade, daß er nicht auch ein gutes Herz hatte.« Drusus klang bitter.
Die Mutter sah ihn von der Seite an, sagte aber nichts.
Ob Servilia mit ihren Verwünschungen das Schicksal nun wirklich beeinflussen konnte oder nicht, Livia Drusa glaubte es mit der Zeit. Auch ihr war mittlerweile klar, daß sie sterben würde, und sie fand keine andere Erklärung dafür. Sie hatte ohne größere Probleme vier Kinder zur Welt gebracht. Warum sollte es beim fünften plötzlich anders sein? Normalerweise wurde die Geburt mit jedem weiteren Kind leichter.
Livia Drusa starrte die untersetzte ältere Frau, die im Türrahmen ihres Schlafzimmers stand, an und überlegte bitter, wem sie es zu verdanken hatte, daß sie ihre versiegende Energie jetzt auch noch an eine Fremde vergeuden mußte. Die Fremde kam auf sie zu und hielt ihr die Hand zum Gruß hin.
»Ich bin deine Mutter, Livia Drusa«, sagte sie, setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre Tochter in den Arm.
Sie weinten beide, sowohl über die unerwartete Wiedervereinigung als auch über all die verlorenen Jahre. Dann machte Cornelia Scipionis es ihrer Tochter gemütlich und setzte sich selbst auf einen Stuhl neben das Bett.
Livia Drusas bereits trübe Augen musterten verwundert das einfache Gesicht der Mutter, ihre matronenhafte Erscheinung und die bescheidene Frisur.
»Ich hatte mir dich immer sehr elegant vorgestellt, Mama«, sagte sie.
»Eine typische Männerfresserin?«
»Vater — und sogar mein Bruder... «
»Ich weiß, es sind eben typische Männer der Familie Livius Drusus. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich liebe das Leben, mein Kind. Das habe ich immer getan. Ich lache gern und nehme die Welt nicht ernst genug. Zu meinen Freunden gehörten ebenso viele Manner wie Frauen. Es waren nur Freundschaften! Aber eine römische Frau kann keine männlichen Freunde haben, ohne daß die halbe Stadt zumindest annimmt, daß es ihr um mehr als nur um geistreiche Gespräche geht. Dazu gehörte auch dein Vater, mein Mann. Und dennoch meinte ich ein Recht darauf zu haben, mich mit meinen Freunden — den männlichen wie den weiblichen wohlgemerkt — zu treffen, wann immer ich wollte. Aber das Gerede der Leute und die Art, wie dein Vater diesem Gerede über seine Frau Glauben schenkte, war für mich abstoßend. Dein Vater hat nie meine Partei ergriffen.«
»Dann hattest du keine Liebhaber?« fragte Livia Drusa.
»Nicht, als ich noch mit deinem Vater zusammenlebte. Ich wurde verleumdet. Trotzdem erkannte ich schnell, daß es mein Tod sein würde, wenn ich bei deinem Vater bliebe. Nach der Geburt von Mamercus ließ ich deinen Vater daher im Glauben, er sei der Sohn des alten Mamercus Aemilius Lepidus, einem meiner engsten Freunde. In Wirklichkeit war er genausowenig mein Liebhaber wie einer meiner anderen männlichen Freunde. Als der alte Mamercus sich erbot, meinen Sohn zu adoptieren, stimmte dein Vater sofort zu — vorausgesetzt, ich verließe sein Haus. Aber er hat sich nie von mir scheiden lassen. Ist das nicht komisch? Der alte Mamercus war Witwer und nur zu froh, die Mutter seines neu adoptierten Sohnes bei sich aufzunehmen. Ich war dort sehr glücklich, Livia Drusa, und lebte mit Mamercus bis zu seinem Tode als seine Frau zusammen.«
Livia Drusa richtete sich mühsam im Bett auf. »Aber es hieß immer, du hättest ständig neue Liebesabenteuer.«
»Das stimmt auch, mein Kind. Aber erst nach Mamercus’ Tod. Eine Zeitlang hatte ich wirklich Dutzende von Affären. Aber Liebesaffären langweilen mit der Zeit. Sie sind nur ein Weg der Selbstfindung, wenn eine engere Bindung fehlt. Man sucht etwas und hofft es zu finden. Aber eines Tages erkennt man plötzlich, daß man sich mit Liebesabenteuern mehr Probleme schafft als sonst etwas, daß man das, was man sucht, auf diese Art und Weise nicht bekommt. Ich habe jetzt schon seit mehreren Jahren keinen Liebhaber mehr gehabt. Die Gesellschaft meines Sohnes Mamercus und meiner Freunde genügt mir. Zumindest war das so bis zur Heirat von Mamercus.« Sie verzog das Gesicht. »Ich mag meine Schwiegertochter nicht.«
»Mama, ich sterbe. Ich werde dich nie mehr richtig kennenlernen.«
»Besser ein bißchen als gar nicht, Livia Drusa. Es ist nicht nur die Schuld deines Bruders.« Cornelia Scipionis war entschlossen, ihrer Tochter die ganze Wahrheit zu sagen. »Nachdem ich deinen Vater verlassen hatte, machte ich keinen Versuch mehr, dich oder deinen Bruder Marcus wiederzusehen. Obwohl es möglich gewesen wäre,
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