MoR 02 - Eine Krone aus Gras
war Drusus äußerlich sehr ähnlich, doch fehlte ihm die Kraft und Stärke, durch die Drusus jedermann sofort beeindruckte. Er war siebenundzwanzig und zehn Jahre jünger als Drusus, und bisher hatte er weder eine brillante Karriere als Anwalt gemacht, noch sagte man ihm eine Karriere als Politiker voraus, wie dies bei Drusus der Fall gewesen war. Dennoch besaß er eine gewisse phlegmatische Kraft, die seinem älteren Bruder abging, und die Dinge, die der arme Drusus ohne fremde Hilfe nach der Schlacht von Arausio hatte lernen müssen, waren ihm dank des Zusammenlebens mit seiner Mutter von Kindesbeinen an vertraut. Mamercus war ein echter Cornelier aus dem Familienzweig der Scipionen — aufgeschlossen, gebildet und wißbegierig.
Cornelia Scipionis machte neben sich für Mamercus Platz, der ein wenig scheu vor ihnen stehenblieb, als Drusus keine Anstalten machte, auf ihn zuzugehen und ihn zu begrüßen, sondern ihn nur prüfend anstarrte.
»Heiße ihn willkommen und sei freundlich zu ihm, Marcus Livius«, sagte Cornelia Scipionis. »Ihr seid richtige Brüder. Und ihr müßt gute Freunde werden.«
»Ich habe nie geglaubt, daß wir nur Halbbrüder sind«, sagte Mamercus.
»Ich schon«, brummte Drusus. »Sag die Wahrheit, Mama. Was stimmt denn nun? Das, was du heute gesagt hast, oder das, was du zu unserem Vater gesagt hast?«
»Das, was ich heute gesagt habe. Was ich eurem Vater gesagt habe, ermöglichte mir, von ihm zu fliehen. Ich entschuldige mein Verhalten nicht — ich war wahrscheinlich alles, was du über mich gedacht hast und noch mehr, Marcus Livius, wenn auch aus anderen Gründen.« Sie zuckte die Achseln. »Aber ich bin von Natur aus kein Mensch, der mit dem Schicksal hadert. Ich lebe in der Gegenwart und der Zukunft, nie in der Vergangenheit.«
Drusus streckte seinem Bruder die rechte Hand hin und lächelte. »Sei willkommen in meinem Haus, Mamercus Aemilius.«
Mamercus ergriff die ausgestreckte Hand, beugte sich vor und küßte seinen Bruder auf die Lippen. »Mamercus«, sagte er dann leise. »Sage nur Mamercus zu mir. Ich bin der einzige Römer mit diesem Namen.«
»Unsere Schwester liegt im Sterben.« Drusus setzte sich neben Mamercus, dessen Hand er noch immer hielt.
»Das tut mir leid. Das wußte ich nicht.«
»Hat Claudia es dir nicht gesagt?« fragte seine Mutter mißbilligend. »Ich habe ihr genau eingeschärft, was sie dir ausrichten sollte.«
»Nein, sie hat nur gesagt, du seist plötzlich mit Marcus Livius weggegangen.«
Cornelia Scipionis hatte einen Entschluß gefaßt. »Marcus Livius«, sagte sie und sah ihn mit Tränen in den Augen an. »Ich habe die letzten siebenundzwanzig Jahre ganz deinem Bruder gewidmet.« Sie wischte sich die Tränen ab. »Ich werde meine Tochter nie richtig kennenlernen. Aber du und Marcus Porcius, ihr werdet sechs Kinder zu versorgen haben ohne eine Frau im Haus — wenn du nicht vorhast, dich wieder zu verheiraten.«
Drusus schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Mama, das kommt nicht in Frage.«
»Dann komme ich her und kümmere mich um die Kinder, wenn es dir recht ist.«
»Das ist mir sehr recht.« Lächelnd sah Drusus seinen Bruder an. »Es ist gut zu wissen, daß ich wieder eine Familie habe.«
Livia Drusa starb, als der junge Cato genau zwei Monate alt war. In gewisser Weise war es ein glücklicher Tod, denn sie wußte, wie es um sie stand, und hatte alles getan, um es denen, die sie zurückließ, einfacher zu machen. Die Gegenwart ihrer Mutter war ihr ein großer Trost, wußte sie doch ihre Kinder gut versorgt, gepflegt und umhegt. Die Anwesenheit ihrer Mutter gab ihr auch Kraft — Cornelia Scipionis sorgte dafür, daß Servilia ihre Mutter nicht mehr zu Gesicht bekam —, und so fügte sie sich in ihren bevorstehenden Tod und dachte nicht mehr an einen Fluch und den bösen Blick.
Sie sagte Cato Salonianus viele liebe Worte und Worte des Trostes, erteilte ihm Ratschläge und gab ihm Wünsche mit auf den Weg. Als das Ende nahte, sah sie ihm in die Augen, hielt seine Hand und spürte seine Wärme. Für ihren Bruder Drusus hatte sie ebenfalls viele Worte der Liebe und der Ermutigung und auch Worte des Trostes. Als einziges ihrer Kinder wollte sie noch einmal den jungen Caepio sehen.
»Kümmere dich um deinen kleinen Bruder Cato«, sagte sie leise und küßte ihn mit vom Fieber aufgesprungenen Lippen.
»Kümmere dich um meine Kinder«, sagte sie zu ihrer Mutter.
Und zu Cato Salonianus sagte sie: »Ich wußte gar nicht, daß Penelope vor
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