MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Odysseus stirbt.« Das waren ihre letzten Worte.
III. Kapitel
Sulla genoß seine Rolle als praetor urbanus, obwohl er keine Erfahrung mit Gerichten hatte und nur über geringe Kenntnisse des römischen Rechts verfügte. Aber er besaß einen gesunden Menschenverstand, und er wählte fähige Mitarbeiter aus und war sich nicht zu gut, sie um Rat zu fragen, wann immer es ihm nötig erschien. Außerdem brachte er für diesen Beruf die richtige Einstellung mit. Am meisten genoß er seine Unabhängigkeit — endlich war er Gaius Marius los! Endlich konnte man ihn als eigenständige Person kennenlernen. Seine kleine Klientel begann allmählich zu wachsen. Besonderen Anklang fand, daß er es sich zur Gewohnheit machte, seinen Sohn überallhin mitzunehmen. Sulla schwor sich, daß sein Sohn jeden erdenklichen Vorteil haben sollte, einschließlich einer frühen Karriere in den Gerichten und der richtigen Posten im Heer.
Der Junge sah nicht nur wie ein Caesar aus, sondern hatte auch das gute Aussehen der Julier. Er fand leicht Freunde, und aufgrund seines sympathischen Charakters und seines Sinnes für Gerechtigkeit waren seine Freundschaften stabil. Sein bester Freund war fünf Monate älter, ein magerer Junge mit einem großen Schädel namens Marcus Tullius Cicero. Seltsamerweise stammte er wie Gaius Marius aus Arpinum. Sein Großvater war ein Schwager von Marcus, dem Bruder von Gaius Marius, gewesen — ihre Frauen waren die Schwestern Gratidia. All dies mußte Sulla nicht selbst herausfinden, denn als der junge Sulla Cicero seinem Vater vorstellte, fand sich dieser bald unter einem Schwall von Informationen begraben: Cicero war ein Redner.
Sulla mußte beispielsweise gar nicht erst fragen, was der Junge aus Arpinum in Rom erreichen wollte — das war das erste, was Cicero ihm erzählte.
»Mein Vater ist ein guter Freund von Marcus Aemilius Scaurus, dem Senatsvorsitzenden«, erklärte der junge Cicero wichtigtuerisch. »Außerdem ist er mit Quintus Mucius Scaevola, dem Auguren, befreundet. Und er ist ein Klient von Lucius Licinius Crassus Orator! Als mein Vater merkte, daß ich einfach zu begabt und intelligent war, um in Arpinum zu bleiben, zog er mit uns nach Rom um. Das war letztes Jahr. Wir bewohnen ein hübsches Haus auf den Carinae, direkt neben dem Tellus-Tempel. Publius Rutilius Rufus wohnt auf der anderen Seite des Tempels. Quintus Mucius Augur und Lucius Crassus Orator sind meine Lehrer, aber hauptsächlich doch Lucius Crassus Orator, weil Quintus Mucius Augur eigentlich schon zu alt ist. Natürlich reisen wir schon seit Jahren regelmäßig nach Rom — ich habe auf dem Forum zu lernen begonnen, als ich erst acht Jahre alt war. Wir sind keine Bauerntölpel, Lucius Cornelius! Wir sind aus einem viel besseren Hause als Gaius Marius!«
Sulla ließ den Redestrom des Dreizehnjährigen belustigt über sich ergehen. Insgeheim fragte er sich, wann sich das wohl Unvermeidliche ereignen würde: wann diese große Melone, die dem Jungen als Kopf diente, von ihrem allzu dünnen Stengel fallen und über den Boden davonkullern würde — ohne aufzuhören zu reden. Die Melone nickte andauernd und schwankte nach oben, unten und seitwärts. Sie war ganz offenbar eine unbequeme, ständig gefährdete Last für ihren Träger.
»Weißt du eigentlich«, fragte Cicero arglos, »daß schon Zuhörer kommen, wenn ich meine Redeübungen abhalte? Meine Lehrer können mir keinen Problemfall mehr nennen, den ich durch meine Argumentation nicht lösen könnte!«
»Ich nehme also an, daß du eine Karriere als Advokat anstrebst?« Sulla war es gelungen, ein paar Worte dazwischenzuschieben.
»Natürlich! Aber nicht wie der große Aculeo — meine Abstammung ist gut genug für ein Konsulat! Aber gut, zuerst muß ich natürlich in den Senat. Ich habe eine große öffentliche Karriere vor mir. Das sagen alle!« Ciceros Kopf rollte nach vorn. »Nach meiner Erfahrung, Lucius Cornelius, ist es viel wirksamer, wenn man sich der Wählerschaft als Mann aus dem Rechtswesen präsentiert, nicht als Mann aus diesem müden alten Haufen, der Armee!«
Sulla starrte Cicero fasziniert an. Dann sagte er freundlich: »Ich habe es dem müden alten Haufen zu verdanken, daß ich bin, was ich bin, Marcus Tullius. Ich hatte keine Laufbahn als Rechtsanwalt vorzuweisen, und doch bin ich Stadtprätor geworden.«
Cicero fegte den Einwand beiseite: »Richtig, aber du hattest ja nicht meine Vorteile, Lucius Cornelius. Ich werde mit vierzig Jahren Prätor sein, wie es
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