MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Cornelius!«
Langsam drehte Sulla sich um. Als er Metellus Pius sein Gesicht präsentierte, war es ein Bild der Trauer. Tränen füllten seine Augen und rollten ungehindert über die Wangen hinab. »Mein lieber Quintus Pius!« sagte er.
Der Schrecken hielt das Ferkel noch auf den Beinen, und er weinte jetzt weniger. »Ich kann es nicht fassen! Mein Vater ist tot!«
»So plötzlich!« Sulla schüttelte den Kopf. Ein Schluchzen entrang sich seiner Kehle. »So plötzlich! Es ging ihm so gut, Quintus Pius! Ich besuchte ihn, um ihm meinen Respekt zu erweisen, und er lud mich ein, zum Essen zu bleiben. Wir unterhielten uns so angeregt! Und dann, nach dem Essen — dies!«
»Ach warum, warum?« Ferkels Tränen begannen wieder zu fließen. »Er war doch zu Hause, und er war noch nicht alt!«
Ganz behutsam zog Sulla Metellus Pius an sich, drückte den zuckenden Kopf an seine linke Schulter und streichelte mit der rechten Hand Metellus’ Kopf. In den Augen freilich, die über den Kopf an seiner Schulter hinwegstarrten, lag jene erschöpfte Befriedigung, die auf eine starke, körperlich anstrengende Gefühlsregung folgt. Ob er je wieder etwas tun würde, was dieser erstaunlichen Erfahrung gleichkam? Zum ersten Mal hatte er sich bis zum Äußersten mit dem Vorgang des Sterbens verbunden. Er hatte den Tod nicht allein verursacht, sondern den Vorgang des Sterbens vom ersten bis zum letzten Augenblick begleitet.
Als der Verwalter aus dem triclinium kam, sah er, daß der Sohn seines toten Herrn von einem Mann getröstet wurde, von dem ein Glanz ausging wie von Apollo selbst. Der Verwalter kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Einbildung.
»Ich muß gehen«, sagte Sulla zu dem Verwalter. »Hier, kümmere dich um ihn. Und laß den Rest der Familie holen.«
Draußen auf dem Clivus Victoriae wartete Sulla lange, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann ging er leise lachend davon, in Richtung des Tempels der Magna Mater. Beim vergitterten, schwarz gähnenden Abflußloch eines Abzugskanals blieb er stehen und warf das leere Fläschchen hinein.
»Vale, Schweinebacke, leb wohl, Schweinebacke!« brüllte er und schüttelte seine Fäuste gegen den düsteren Himmel. »Ach tut das gut, so gut!«
»Beim Jupiter!« Gaius Marius ließ Sullas Brief sinken und starrte seine Frau an.
»Was denn?«
»Schweinebacke ist tot.«
Die kultivierte römische matrona, deren Sohn glaubte, sie würde sterben, wenn sie etwas Vulgäreres als »Beim Pollux!« hörte, ließ sich nichts anmerken. Sie war seit den ersten Tagen ihrer Ehe daran gewöhnt, daß Quintus Caecilius Metellus Numidicus »Schweinebacke« genannt wurde. »Wie schlimm«, sagte sie, da sie nicht recht wußte, was ihr Mann von ihr erwartete.
»Schlimm? Es ist fast zu schön, um wahr zu sein!« Marius nahm die Schriftrolle wieder hoch, zog sie auseinander und arbeitete sich murmelnd weiter durch den Text. Als er das endlose Gekritzel schließlich entziffert hatte, las er es Julia noch einmal zusammenhängend und mit vor Freude bebender Stimme vor.
Ganz Rom erschien zur Totenfeier — die protzigste, an die ich mich erinnern kann. Allerdings habe ich mich nie sonderlich für Totenfeiern interessiert, auch nicht, als Scipio Aemilianus aufdem Scheiterhaufen lag.
Das Ferkel ist außer sich vor Kummer und hat sich seinen Beinamen Pius auf ewige Zeiten verdient, indem er jammernd und wehklagend von einem Stadttor zum nächsten zog. Die Vorfahren der metellischen Caecilier müssen — ihren Ahnenbildern nach zu urteilen (was meines Erachtens durchaus zulässig ist) — schlichte Gemüter gewesen sein. Einige der Schauspieler hüpften und hopsten und sprangen herum wie seltsame Kreuzungen aus Fröschen, Heuschrecken und Rehböcken, und ich habe mich ernstlich gefragt, von wem die metellischen Caecilier eigentlich abstammen. Eine eigenartige Brut jedenfalls.
Das Ferkel klammert sich zur Zeit ziemlich an mich, wahrscheinlich, weil ich dabei war, als Schweinebacke starb. Weil sein geliebter Papa meine Hand nicht loslassen wollte, ist das Ferkel davon überzeugt, alle Differenzen zwischen mir und Schweinebacke seien noch ausgeräumt worden. Ich habe ihm nicht gesagt, daß meine Einladung zum Essen eine spontane, eher zufällige Angelegenheit war. Eines war interessant — das Ferkel hat die ganze Zeit, als sein Vater starb, und sogar noch danach, nicht ein einziges Mal gestottert. Er hat seine Sprachstörung wohlgemerkt erst nach der Schlacht von Arausio
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