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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Raum. Er trug eine Tunika und einen griechischen Mantel. Unbefangen und ohne Scheu warf er sich dem König zu Füßen.
    »Erhebe dich, Aristion. Ich habe Arbeit für dich.«
    Der Grieche stand auf und sah den König höflich und bewundernd an. Er übte diese Pose ständig vor einem Spiegel, den König Mithridates aufmerksamerweise in sein luxuriös ausgestattetes Gemach hatte stellen lassen. Anstion war stolz darauf, daß es ihm lang, mit seiner Haltung genau die Mitte zwischen Kriechertum, das der König verachtete, und übermäßigem Selbstbewußtsem auszudrücken. Seit nunmehr fast einem Jahr wohnte er am pontischen Hof in Sinope. Er war ein Peripatetiker, ein Wanderphilosoph der von Nachfolgern des Aristoteles gegründeten Schule, und hatte sich auf die Suche nach Ländern gemacht, die weniger gut mit seinesgleichen ausgestattet waren als Griechenland, Rom oder Alexandria und ihm deshalb vielleicht ein besseres Auskommen bieten konnten. Die Wanderschaft hatte ihn schon weit von seiner ursprünglichen Heimat Athen weggeführt, als ein glücklicher Zufall es wollte, daß der König von Pontos seine Dienste benötigte. Der König war sich seit seiner Reise in die Provinz Asia, zehn Jahre zuvor, schmerzhaft seiner Bildungslük- ken bewußt.
    Aristion war bemüht, seine Unterweisungen in einen plaudernden Ton zu verpacken. Er erzählte dem König von der vergangenen Macht der Griechen und Makedonier, von der unangenehmen und unerwünschten Macht der Römer, von den Mechanismen der Wirtschaft und des Handels und von der Geographie und Geschichte der Welt. Und im Laufe der Zeit sah sich Aristion eher als Richter über den Geschmack und die Bildung des Königs denn als königlicher Lehrer.
    »Der Gedanke, mich auf irgendeine Weise nützlich machen zu können, erfüllt mich mit Freude, o mächtiger Mithridates«, sagte Aristion mit einschmeichelnder Stimme.
    Der König begann darzulegen, daß er zwar einen Krieg gegen Rom nicht angestrebt, seit Jahren jedoch darüber nachgedacht habe, wie ein solcher Krieg im einzelnen durchgeführt werden könne.
    »Erlaubt dir deine Herkunft, in Athen politischen Einfluß zu gewinnen?« fragte der König unerwartet.
    Aristion zeigte sein Erstaunen nicht. Höflich blickte er auf den König. »Ja, großer König«, log er.
    In Wirklichkeit war er der Sohn eines Sklaven, aber das lag schon lange zurück. Niemand konnte sich mehr daran erinnern, selbst in Athen nicht. Allein das Aussehen zählte. Und er sah beeindruckend aristokratisch aus.
    »Dann will ich, daß du unverzüglich nach Athen zurückkehrst, um dort politischen Einfluß zu gewinnen. Ich brauche einen vertrauenswürdigen Mittelsmann in Griechenland, der genügend Einfluß hat, um die Griechen gegen die Römer aufzuhetzen. Wie du das machst, ist mir egal. Aber wenn die pontischen Armeen und Flotten die an das ägäische Meer angrenzenden Länder erobern, dürfen Athen — und Griechenland! — mir nicht im Weg stehen.«
    Durch den Thronsaal ging ein überraschtes Flüstern, dann ein Schauer der Erregung, und kriegerische Blicke wurden gewechselt. Der König würde sich Rom also nicht ergeben!
    »Wir stehen hinter dir, mein König!« rief Archelaos begeistert.
    »Deine Söhne danken dir, großer König!« rief Pharnakes, der älteste Sohn.
    Mithridates wurde vor Stolz immer größer. Warum hatte er nicht früher erkannt, wie gefährlich nahe Aufruhr und Vernichtung gewesen waren? Seine Untertanen, seine Blutsverwandten sehnten den Krieg gegen Rom herbei! Und er war dazu bereit. Er war seit Jahren dazu bereit.
    »Wir schlagen erst los, wenn die römischen Gesandten und die Statthalter der Provinz Asia und Kilikien losmarschiert sind«, verkündete er. »In dem Moment, in dem sie unsere Grenzen überschreiten, schlagen wir zurück. Die Flotte muß unverzüglich ausgerüstet, die Truppen marschbereit gemacht werden. Wenn die Römer meinen, sie könnten Pontos einnehmen, werden sie erleben, daß ich mir Bithynien und die Provinz Asia einverleiben werde. Kappadokien ist bereits unter meiner Herrschaft und wird es auch bleiben. Ich habe genug Armeen, um meinen Sohn Ariarathes mit seinen Truppen dort zu lassen.« Die leicht hervorquellenden, grünen Augen richteten sich auf Aristion. »Worauf wartest du, Philosoph? Geh nach Athen. Das Gold aus meinem Staatsschatz soll dir bei deiner Unternehmung behilflich sein. Aber sieh dich vor! Niemand darf wissen, daß du für mich arbeitest.«
    »Ich verstehe, o mächtiger König, ich verstehe!«

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