MoR 03 - Günstlinge der Götter
gab es in Samnium ebensowenig große Kunstwerke wie in Beneventum, und deshalb blieb Verres’ Habgier ungestillt.
Verres beschloß, nach Osten zu gehen. Dort in der hellenisierten, Welt gab es buchstäblich überall Statuen und Bilder, von Alexandria, Olympia und Pontos bis Byzanz. Als Sulla per Los die Statthalter für das kommende Jahr bestimmt hatte, hatte Verres sich nach Abwägung aller Möglichkeiten für den jüngeren Dolabella entschieden. Dessen Vetter, der ältere Dolabella, war in Mazedonien — was Kunstwerke betraf, eine fruchtbare Provinz —, aber er war ein harter Mann und verfolgte seine eigenen Ziele. Und Gaius Claudius Nero, der neue Statthalter der Provinz Asia, war ein ziemlicher Pedant. Blieb nur noch der neue Statthalter von Cilicia, der jüngere Dolabella. Der gierige, unmoralische Dolabella, der mit schmutzigen, übelriechenden Frauen der ordinärsten Sorte heimlich Orgien feierte und dabei den Geschlechtstrieb steigernde Drogen konsumierte, war für Gaius Verres genau der richtige Mann. Lange vor der Reise nach Osten hatte Verres sich für Dolabella unentbehrlich gemacht, indem er seinen geheimen Lastern nachging.
Glück, dachte Verres triumphierend: Er besaß Fortunas Gunst! Es gab nicht viele Männer wie den jüngeren Dolabella, und in der Regel brachten sie es nicht so weit. Wäre der ältere Dolabella Sulla militärisch nicht eine so große Stütze gewesen, wäre der jüngere nie Prätor und Statthalter einer Provinz geworden. Obwohl der jüngere Dolabella natürlich die Chance ergriffen hatte, lebte er in ständiger Angst. Deshalb atmete er erleichtert auf, als Verres sich als ebenso verständnisvoll wie einfallsreich erwies.
Während die Gruppe mit Claudius Nero unterwegs war, hatte Verres sich zusammenreißen müssen, um nicht hier ein Werk aus einem griechischen Heiligtum und dort eines aus einer griechischen Agora zu stehlen. Besonders in Athen war es ihm schwergefallen, so reichhaltig waren überall die Schätze. Aber Titus Pomponius Atticus lauerte wie eine riesige Spinne inmitten des römischen Netzes, das Athen umgab. Wegen seines Scharfsinns in Geldangelegenheiten, seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Metelli und seiner vielen Geschenke an Athen durfte man Atticus nicht verärgern. Zudem war bekannt, wie sehr er die Sorte Römer verabscheute, die Kunstwerke raubte.
Aber in Athen trennten sich die Wege von Dolabella und Claudius Nero, der unbedingt Pergamon erreichen wollte und von Natur aus kein Griechenlandliebhaber war. Deshalb segelte Claudius Nero so schnell wie möglich nach der Provinz Asia, während Dolabellas Schiff die kleine Insel Delos anlief.
Ehe Mithridates vor neun Jahren in die Provinz Asia und in Griechenland eingefallen war, war Delos der Mittelpunkt des weltweiten Sklavenhandels gewesen. Piraten hatten von dort aus den gesamten östlichen Mittelmeerraum mit Sklaven versorgt. Täglich wechselten auf Delos zwanzigtausend Sklaven ihre Besitzer, was nicht hieß, daß eine endlose Parade von Sklavenschiffen den schönen großen Hafen verstopfte. Der Handel vollzog sich auf dem Papier; gegen eine bestimmte Summe wurde das Besitzrecht an den Sklaven dem neuen Herrn übertragen. Nur besondere Sklaven wurden persönlich nach Delos gebracht; ansonsten war die Insel den Händlern vorbehalten.
Früher hatte es dort neben Alexandrinern und Juden auch eine breite italisch-römische Bevölkerungsschicht gegeben. Das größte Gebäude auf Delos war die römische Agora, wo römische und italische Kaufleute ihre Büros untergebracht hatten. Jetzt war das Gebäude windschief und fast ebenso menschenleer wie die Westseite der Insel, wo wegen des besseren Klimas die meisten Häuser standen. An den Hängen des Berges Kynthos lagen die Bezirke und Tempel der Götter, die unter dem Patronat der Ptolemäer aus Ägypten und der Seleukiden aus Syrien nach Delos importiert worden waren. Das Heiligtum der Artemis lag ganz in der Nähe des heiligen Hafens, wo nur Pilgerschiffe vor Anker gingen. Nördlich davon befand sich der große und herrliehe Bezirk des Apoll mit einigen der berühmtesten Kunstwerke. Und die Prozessionsstraße zwischen dem Tempel der Leto und dem heiligen See wurde von monumentalen Löwenskulpturen aus weißem Marmor gesäumt.
Verres war unbändig vor Entzücken und ließ sich bei seinen Erkundungen nicht stören. Er eilte von einem Tempel zum anderen, bestaunte die Statue der Artemis von Ephesos, die mit Stierhoden beladen war, die an sterile
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