MoR 03 - Günstlinge der Götter
brauchte, um säumigen Klienten Geld abzunehmen, und der sich darüber im klaren war, daß ihm die Liktoren nicht mehr zur Verfügung stünden, wenn er sich weigerte, als Vertreter der Anklage aufzutreten. Die Bewohner von Lampsakos versammelten sich um den Platz, wo das Gericht tagte, tuschelten miteinander, warfen wütende Blicke in die Runde und drohten gelegentlich mit der Faust. Trotzdem hatte sich keiner bereit erklärt, Philodamus und Artemidorus zu vertreten. Deshalb mußten sich die beiden unter einem fremden Rechtssystem selbst verteidigen.
Es ist eine Farce, dachte Caesar mit ausdruckslosem Gesicht. Claudius Nero, der nominell den Vorsitz hatte, unternahm nicht einmal den Versuch, die Verhandlung zu leiten; er saß nur stumm da und überließ alles Verres und Rubrius. Dolabella, der selbst zu den Geschworenen zählte, setzte sich immer wieder lautstark für Verres ein, und auch Verres, der ebenfalls Geschworener war, sprach für sich. Als die griechischen Zuschauer merkten, daß Philodamus und Artemidorus nicht genügend Gelegenheit bekamen, sich zu verteidigen, stießen manche Beschimpfungen aus. Aber auf dem Platz waren fünfhundert bewaffnete Fimbrianer postiert, die einer tobenden Menge weit überlegen waren.
Das Urteil war kein Urteil: Die Geschworenen beantragten ein Wiederaufnahmeverfahren. Nur so konnte die Mehrheit ihr Mißfallen über das rücksichtslose Vorgehen zum Ausdruck bringen, ohne daß ein Verrinischer Sturm über sie hereinbrach.
Als Verres hörte, daß das Verfahren wiederaufgenommen werden sollte, geriet er in Panik. Wenn Philodamus und Artemidorus am Leben blieben, konnten sie ihn, mit einer aufgebrachten Stadt im Rücken, in Rom anklagen. Und möglicherweise würde sogar ein römischer Senator und Kriegsheld für sie aussagen, denn Verres hatte das bestimmte Gefühl, daß Gaius Julius Caesar nicht auf seiner Seite stand. Zwar hatte sich der junge Mann weder durch Blicke noch durch Äußerungen verraten, aber das allein war schon ein Hinweis für seine Ablehnung. Außerdem war er mit Sulla, dem Diktator von Rom, verwandt. Vielleicht faßte ja auch Gaius Claudius Nero wieder Mut, wenn Verres in Rom vor Gericht gestellt wurde; in dem Fall würden sich seine Behauptungen hinsichtlich Claudius Neros Verhalten wie eine Verleumdungskampagne ausnehmen, um einen wichtigen Zeugen in Mißkredit zu bringen.
Daß Claudius Nero ähnlich dachte, wurde offensichtlich, als er erklärte, das Verfahren solle im Frühsommer wiederaufgenommen werden — zu einem Zeitpunkt, wo die Provinzen Asia und Cilicia bereits neue Statthalter hatten. Obwohl ein römischer Liktor zu Tode gekommen war, hatten Philodamus und Artemidorus plötzlich eine ausgezeichnete Chance, freizukommen. Und wenn sie frei waren, würden sie nach Rom kommen und gegen Gaius Verres Anklage erheben. Denn, wie Philodamus zu den Geschworenen gesagt hatte:
»Wir socii wissen, daß wir unter der Obhut Roms stehen und daß wir dem Statthalter, seinen Legaten und Beamten, und durch ihn dem Senat und dem Volk von Rom Rechenschaft ablegen müssen. Wir wissen auch, daß es notgedrungen zu Repressalien kommen muß und viele von uns darunter leiden werden, wenn wir uns der römischen Herrschaft nicht beugen. Aber was sollen wir ausländische Staatsbürger Roms tun, wenn Rom es zuläßt, daß ein Mann, der nichts weiter ist als der Gehilfe eines Statthalters, unsere Kinder begehrt und sie uns entreißt, um sie für üble Zwek- ke zu mißbrauchen? Mein Sohn und ich haben nur seine Schwester und meine Tochter vor einem gemeinen Rüpel beschützt! Es sollte niemand sterben, und es war keine griechische Hand, die den ersten Schlag geführt hat. Ich wurde in meinem eigenen Haus mit kochendheißem Wasser verbrüht, als ich die Begleiter des Gaius Verres daran zu hindern versuchte, mein Kind zu entführen und ihm Schmerz und Schande zuzufügen. Wären mein Sohn und seine Freunde nicht rechtzeitig gekommen, wäre meine Tochter tatsächlich entführt und entehrt worden. Gaius Verres hat sich nicht wie ein zivilisierter Angehöriger eines zivilisierten Volkes benommen, sondern er hat sich wie der Barbar aufgeführt, der er ist.«
Die Beantragung eines Wiederaufnahmeverfahrens durch römische Geschworene, die während der Verhandlung von Dolabella und Verres eindringlich ermahnt wurden, ihre Pflicht zu tun und die Angeklagten zu verurteilen, ermutigte die Griechen dazu, Claudius Nero und sein Gericht mit Hohngelächter, Buhrufen, Zischen und zornigen
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