MoR 04 - Caesars Frauen
räusperte sich frei, glättete sein Haar und richtete seine Toga. Dann endlich begann er, in barschem Tonfall zu sprechen.
»Versammelte Väter, Roms moralische Verfassung ist ein Trauerspiel. Wir, die wir als Mitglieder der ranghöchsten Regierungsinstitution Roms über allen anderen stehen, sind leider weit davon entfernt, unsere Pflicht als römische Sittenwächter zu erfüllen. Wie viele der anwesenden Männer hier haben sich des Ehebruchs schuldig gemacht? Wie viele Frauen der anwesenden Männer haben sich des Ehebruchs schuldig gemacht? Und wie viele Kinder der anwesenden Männer haben sich des Ehebruchs schuldig gemacht? Ja, wie viele Eltern der anwesenden Männer haben sich des Ehebruchs schuldig gemacht? Mein Urgroßvater, der Zensor — der beste Mann, den Rom jemals hervorgebracht hat —, nahm eine klare Haltung zu Moral und Sittlichkeit wie auch zu allen anderen Fragen des Lebens ein. Für einen Sklaven hat er niemals mehr als fünftausend Sesterzen gezahlt. Nie stahl er sich die Gunst einer römischen Frau, noch teilte er je sein Lager mit einer. Nach dem Tod seiner Frau Licinia gab er sich mit den Diensten einer Sklavin zufrieden, wie es für einen Mann von über siebzig Jahren schicklich ist. Als dann sein eigener Sohn und seine Schwiegertochter klagten, daß jene Sklavin sich zur Hausherrin aufspielen wolle, schickte er das Mädchen fort und heiratete wieder. Aber er wählte seine Braut nicht etwa aus seinen eigenen gesellschaftlichen Kreisen, da er sich selbst für zu bejahrt erachtete, um ein angemessener Ehemann für eine römische Adlige zu sein. Nein, er heiratete vielmehr die Tochter seines freigelassenen Sklaven Salonius. Aus dieser Linie stamme ich, und ich bin stolz darauf! Cato der Zensor war ein sittenstrenger Mann, ein rechtschaffener Mann, eine Zierde dieses Staates. Er liebte es, wenn ein Gewitter aufzog, weil seine Frau sich dann voll Angst an ihn zu klammern pflegte und er es sich erlauben durfte, sie vor den Sklaven und freien Mitgliedern seines Haushalts zu umarmen. Denn wir alle wissen ja, daß ein achtbarer und sittenstrenger römischer Ehemann seinen Gefühlen nicht an Orten und zu Zeiten nachgeben sollte, die sich für private Handlungen nicht eignen. Mein eigenes Leben und Verhalten suche ich nach dem Vorbild meines Urgroßvaters zu gestalten, dem es in seiner Sterbestunde noch ein Anliegen war, daß nicht zuviel Geld für die Trauerfeierlichkeiten aufgewendet würde. Er kam auf einen bescheidenen Scheiterhaufen, und seine Asche in eine schlichte gläserne Urne. Sein Grabmal ist sogar noch schlichter, aber es liegt auf jener Seite der Via Appia, die stets von irgendeinem treuen Bürger mit Blumen geschmückt wird. Doch was wäre, wenn Cato der Zensor durch die Straßen des heutigen Rom gehen müßte? Was würden seine scharfen Augen sehen? Was würden seine hellhörigen Ohren wahrnehmen? Was würde sein gewaltiger und glasklarer Intellekt denken? Mich schaudert schon bei dem Gedanken, es aussprechen zu müssen, Senatoren, doch fürchte ich, ich komme nicht umhin. Ich glaube nicht, daß er es ertragen könnte, in dieser Jauchegrube, die wir Rom nennen, zu leben. Hier sitzen betrunkene Frauen in der Gosse und speien vor sich hin. Männer lauern in engen Gassen ihren Opfern auf, rauben sie aus und ermorden sie. Kinder beiderlei Geschlechts prostituieren sich vor dem Tempel der Venus Erucina. Ich habe sogar sogenannte angesehene Männer sich auf offener Straße hinhocken und ihre Tunikas lüften sehen, um ihren Darm zu entleeren, obwohl sich eine öffentliche Latrine in unmittelbarer Nähe befand! Intimität hinsichtlich unserer Körperfunktionen und ein gewisses Schamgefühl werden als altmodisch und lächerlich erachtet. Cato der Zensor würde weinen. Dann würde er nach Hause gehen und sich mit einem Strick aufknüpfen. Oh, wie oft habe ich der Versuchung widerstehen müssen, das gleiche zu tun! «
»Keinen Moment länger solltest du ihr widerstehen, Cato!« rief Crassus.
Aber Cato ließ sich nicht beirren. »Rom ist ein Hurenhaus. Doch was ist schon zu erwarten, wenn die Männer, die hier in diesem Hause sitzen, anderen Männern ihre Frauen wegnehmen, oder wenn die Heiligkeit ihres Fleisches für sie darin besteht, Körperöffnungen — über die man nicht spricht — Handlungen zu überlassen, über die man ebenfalls nicht spricht. Cato der Zensor würde weinen. Seht mich an, Senatoren, seht ihr nicht, wie auch ich weine? Wie kann ein Staat erstarken, wie kann er die Welt
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