MoR 04 - Caesars Frauen
Tiaras. Man hatte den Platz nach allen nur erdenklichen Gesichtspunkten ausgewählt: sie war leicht zu verteidigen und verfügte über eigene Wasserquellen und einen nahen Nebenfluß des Tigris, der den Inhalt der Kanalisation, die Tigranes nach dem Vorbild von Pergamum angelegt hatte, fortschwemmte. Ganze Nationen waren besiegt worden, um ihren Aufbau zu finanzieren, und als die Fimbrianer über die Bergkuppe kamen und sie liegen sahen, spürten sie förmlich ihren Reichtum. Groß, in den Himmel wachsend, wunderschön war Tigranokerta. Weil es ihn nach einem hellenisierten Reich verlangte, hatte der König der Könige sie im griechischen Stil bauen lassen; doch die langen Jahre der Kindheit und Jugend im Reich der Parther wirkten noch nach: Als die dorische und ionische Perfektion ihn zu langweilen begann, ließ er die buntfarbenen Fliesen hinzufügen, die geflügelten Stiere und die in Stein gehauenen Herrscher. Und dann, immer noch unzufrieden mit den vielen flachen griechischen Gebäuden, fügte er die hängenden Gärten hinzu, die eckigen Steintürme und die Pylone.
In fünfundzwanzig Jahren hatte es niemand gewagt, König Tigranes schlechte Nachrichten zu überbringen; niemand wollte sich den Kopf oder die Hände abschlagen lassen, denn das war die Strafe, die einen Unglücksboten erwartete. Aber jetzt mußte ihn jemand darüber informieren, daß sich — aus den Bergen im Westen kommend — eine römische Armee der Stadt näherte.
Verständlich, daß das militärische Oberkommando (angeführt von einem Sohn des Tigranes, dem Prinzen Mithrabarzanes) einen sehr jungen Offizier dazu bestimmte, diese katastrophal schlechte Nachricht zu überbringen. Der König der Könige flüchtete sich in Panik — doch vorher ließ er den Unglücksboten noch aufhängen. Dann ergriff er Hals über Kopf die Flucht und ließ Königin Kleopatra zusammen mit seinen eigenen Frauen, seinen Konkubinen, seinen Schätzen und seiner von Mithrabarzanes befehligten Garnison zurück. Von den Gestaden des Kaspischen Meeres bis zum Ufer des Mittelmeeres, von überallher im Reich des Tigranes ergingen Aufrufe: Schickt ihm Truppen, schickt ihm Rüstungen, schickt ihm Beduinen aus der Wüste, wenn ihr keine anderen Soldaten findet! Denn Tigranes wäre niemals auf den Gedanken gekommen, die Römer, die doch selber unter Belagerung waren, könnten nach Armenien marschieren und an die Tür seiner nagelneuen Hauptstadt klopfen.
Während sein Vater in den Bergen — irgendwo zwischen Tigranokerta und dem Thospitissee — schmollte, führte Mithrabarzanes seine verfügbaren Truppen den römischen Invasoren entgegen, unterstützt von einigen Beduinenstämmen aus der näheren Umgebung. Lucullus schlug sie vernichtend, ging vor Tigranokerta in Stellung und belagerte die Stadt, obwohl seine Armee nicht einmal groß genug war, um die ganze Stadtmauer einzukreisen; er beschränkte sich auf Stadttore und Patrouillen. Da er sehr wachsam war, gelangte nur sehr wenig Verkehr aus der Stadt heraus und überhaupt keiner mehr hinein. Er war davon überzeugt, daß Tigranokerta einer langen Belagerung standgehalten hätte, aber er baute darauf, daß die Stadt gar nicht willens war, eine lange Belagerung durchzuhalten. Doch zuerst galt es, den König der Könige auf dem Schlachtfeld zu besiegen. Dann erst folgte der zweite Schritt: die Kapitulation von Tigranokerta, einer Stadt, die ihren König nicht liebte, die nur schreckliche Angst vor ihm hatte. Er hatte diese neue Hauptstadt, die weit entfernt vom Norden Armeniens und seiner alten Hauptstadt Artaxata lag, mit Griechen bevölkert, die er gegen ihren Willen aus Syrien, Kappadokien und dem Osten Cilicias herbeigeschafft hatte; das war ein wichtiger Teil der Hellenisierung gewesen, die Tigranes seinem medischen Volk mit aller Gewalt aufzwingen wollte. Zivilisiert war man erst mit griechischer Kultur und griechischer Sprache. Medische Kultur war minderwertig und primitiv. Also hatte er kurzerhand eine ganze Anzahl Griechen umgesiedelt.
Obwohl die beiden Könige wieder versöhnt waren, hatte Mithridates es nicht eilig, sich mit Tigranes zu vereinigen. Statt dessen lag er mit seiner Armee nördlich und westlich des Gebiets, in das Tigranes sich geflüchtet hatte; er hielt nicht viel von Tigranes’ militärischen Fähigkeiten. Er hatte seinen besten Feldherrn bei sich, seinen Vetter Taxiles, und als ihnen zu Ohren kam, daß Lucullus vor Tigranokerta lag und Tigranes eine riesige Armee zusammentrommelte, um die Stadt
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