MoR 04 - Caesars Frauen
beiden Seiten ragten die Felswände so steil empor, daß auch der Schnee keinen Halt mehr an ihnen fand. Manchmal schafften sie nicht einmal eine Meile am Tag, kletterten über Felsen, klammerten sich an die Wände des brodelnden Katarakts, dem sie folgten, verzweifelt bemüht, nicht hineinzustürzen und zermalmt zu werden.
Keiner hatte ein Auge für die Schönheiten der Natur; dazu war die Anstrengung zu groß. Und es schien nicht wegsamer werden zu wollen; die Tage zogen sich dahin, und die Stromschnelle wurde nicht ruhiger, dafür noch breiter und tiefer. Nachts war es bitterkalt, obwohl doch Hochsommer war, und tagsüber bekamen sie die Sonne nicht zu spüren, so hoch waren die Felswände, von denen sie eingeschlossen waren. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen.
Doch dann, als die Schlucht sich ein wenig öffnete und die Pferde ein paar Halme gefunden hatten, sahen sie den blutgetränkten Schnee. Die Felsen waren nicht mehr so steil, wenn auch kaum weniger hoch, und in ihren Spalten und Rinnen hatten sich Schneefelder gehalten. So sah Schnee auf einem Schlachtfeld aus, nachdem das Gemetzel vorüber war: bräunlichrot vor Blut.
Clodius eilte zu Cornificius, dessen Legion der ranghöheren Legion des Silius voranging.
»Was hat das zu bedeuten?« rief Clodius verängstigt.
»Es bedeutet, daß wir in den sicheren Tod marschieren«, antwortete Cornificius.
»Hast du das schon einmal gesehen?«
»Wie hätten wir es vorher sehen können, wenn es doch hier als unser Omen liegt!«
»Wir müssen umkehren!« Clodius zitterte vor Angst.
»Zu spät«, sagte Cornificius.
Also zogen sie weiter. Sie hatten es jetzt etwas leichter, weil der Fluß sich zwei Höhlungen in den Fels gefressen hatte, und weil es bergab ging. Doch dann ließ Lucullus verkünden, sie befänden sich zu weit östlich, und so mußten die Soldaten, die noch immer wie gebannt auf den blutgetränkten Schnee starrten, wieder bergauf klettern. Keinerlei Hinweise auf menschliches Leben, dabei hatten sie den Befehl, jeden Nomaden, der ihnen über den Weg lief, gefangenzunehmen. Aber wer sollte hier oben schon leben, mit dem blutgetränkten Schnee vor Augen?
Zweimal kletterten sie auf über dreitausend Meter und stolperten wieder bergab; der zweite Paß kam ihnen weniger erschreckend vor, denn aus dem blutgetränkten Schnee wurde wieder ganz normaler, weißer Schnee, und als sie oben auf dem zweiten Paß ankamen, sahen sie in der Ferne den Thospitissee — leuchtend blau lag er im Sonnenschein.
Die Ebene, in die sie mit weichen Knien hinunterkletterten, erschien ihnen wie das Elysische Feld, auch wenn sie noch in fünfzehnhundert Meter Höhe lag und nirgends etwas angepflanzt war, denn wer sollte einen Boden pflügen, der bis zum Sommer gefroren war und den schon die ersten Herbstwinde wieder steinhart gefrieren ließen? Es gab keine Bäume, aber es wuchs Gras; die Pferde wurden kräftiger, die Männer jedoch nicht, auch wenn es zumindest wilden Spargel zu essen gab.
Lucullus drängte zur Eile. Nach zwei Monaten waren sie erst sechzig Meilen nördlich von Tigranokerta angelangt. Immerhin hatten sie das Schlimmste hinter sich. Sie kamen jetzt schneller voran. Am Rand des Sees stießen sie auf ein kleines Dorf von Nomaden, die Getreide angebaut hatten. Sie nahmen ihnen alles, um ihre schrumpfenden Vorräte aufzustocken. Ein paar Meilen weiter fanden sie noch mehr Getreide; sie nahmen es mit, zusammen mit jedem Schaf, das den Männern über den Weg lief. Die Luft kam ihnen nicht mehr so dünn vor, nicht etwa, weil sie nicht dünn gewesen wäre, sondern weil sie sich langsam an die Höhe gewöhnten.
Es war kein furchterregender Fluß, der von den schneebedeckten Gipfeln im Norden kam und in den See mündete. Er war ziemlich breit und ruhig und führte genau in die Richtung, in der Lucullus weiterziehen wollte. Die Bauern, die einen medischen Dialekt sprachen, hatten ihm durch den medischen Dolmetscher, den sie gefangengenommen hatten, mitteilen lassen, daß es zwischen hier und dem Tal des Araxes, in dem Artaxata lag, nur noch eine einzige Bergkette zu überwinden gab. Böse Berge? fragte er. Nein, nicht so böse wie die Berge, aus denen die fremde Armee gekommen ist, lautete die Antwort.
Als die Fimbrianer das Flußtal verließen, um in die sanften Hügel des freundlicheren Hochlandes hinaufzusteigen, wurden sie von einem Trupp Kataphrakte angegriffen. Den Fimbrianern war durchaus nach einem kleinen Kräftemessen zumute, und so räumten sie auch ohne
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