MoR 05 - Rubikon
geschnitzt, daß es dem gefiederten Ende eines Pfeils ähnelte. Unter den Nichtkombattanten gab es Spezialisten, die nichts anderes taten, als aus den Ästen der unter Quintus Ciceros Aufsicht gefällten Bäume Skorpionbolzen herzustellen; zur Überprüfung der Flugeigenschaften warfen sie die fertigen Bolzen auf Zielscheiben.
Allmählich wuchsen rechts und links der Zufahrt zwei Wälle aus Baumstämmen auf die Stadtmauer zu. Die Senke zwischen ihnen wurde nur teilweise aufgefüllt, um die arbeitenden Soldaten besser vor den Bogenschützen und Speerwerfern auf der Stadtmauer zu schützen. Gleichzeitig mit der Terrasse schoben sich lange Schutzunterstände oder Sturmdächer vor. Die beiden Belagerungstürme, die im römischen Lager gebaut wurden, sollten nach ihrer Fertigstellung auf den Wällen nach vorn geschoben werden. Fünfundzwanzigtausend Männer arbeiteten täglich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Hunderte von Bäumen wurden täglich gefällt und zugeschnitten, an Winden hochgezogen, wieder heruntergelassen und über den Boden gerollt, bis sie an der richtigen Stelle lagen.
Nach zehn Tagen hatte sich die Terrasse die Hälfte der Strecke zur Mauer von Avaricum vorgeschoben. Außer etwas Speck und Öl gab es inzwischen nichts Eßbares mehr. Von den Haeduern trafen stets neue Ausreden ein: Einmal waren die Wagen aufgrund eines Wolkenbruchs im Schlamm steckengeblieben, ein anderes Mal sämtliche Scheunen in der Umgebung von Avaricum von Ratten leergefressen worden, so daß das Getreide erst aus einer anderen, hundertzwanzig Meilen entfernten Gegend noch hinter Cabillonum herbeigeschafft werden mußte.. .
Caesar war ständig auf der Baustelle anwesend. »Ihr entscheidet, was ich tun soll«, sagte er zu seinen Männern. »Wenn ihr wollt, hebe ich die Belagerung auf, und wir kehren nach Agedincum zurück, wo uns anständiges Essen erwartet. Wir müssen nicht unbedingt hierbleiben, wir können die Gallier auch besiegen, ohne Avaricum einzunehmen. Ihr habt die Wahl.«
Und stets bekam er dasselbe zu hören: Die Pest sollte die Gallier holen und mit ihnen Avaricum und die Haeduer!
»Wir dienen seit sieben Jahren unter dir, Caesar«, sagte Marcus Petronius, der Sprecher der Zenturionen der Achten Legion. »Du hast uns immer gut behandelt, und wir haben dir nie Schande gemacht. Jetzt aufzugeben, nach all dieser Arbeit, wäre wirklich eine Schande. Nein danke, Feldherr, wir werden den Gürtel enger schnallen und weitermachen. Wir sind hier, um die Toten von Cenabum zu rächen; die Einnahme von Avaricum ist unseren Schweiß wert!«
»Wir müssen etwas Eßbares auftreiben, Fabius«, sagte Caesar zu seinem Stellvertreter, »auch wenn es nur Fleisch ist, denn sie haben keinen einzigen Kornspeicher stehengelassen. Schafe, Rinder — bring alles, was du kriegen kannst. Zwar mag niemand Rindfleisch, aber es ist immer noch besser als zu verhungern. Wo bleiben denn eigentlich unsere sogenannten Verbündeten, die Haeduer?«
»Wir hören weiterhin nur Ausreden von ihnen.« Fabius sah Caesar ernst an. »Meinst du nicht, ich sollte versuchen, mit der Neunten und Zehnten nach Agedincum durchzubrechen?«
»An Vercingetorix kommst du nicht vorbei. Er hofft, daß wir genau das versuchen. Außerdem müssen wir Avaricum erobern, wenn die Haeduer ihrer Pflicht weiterhin nicht nachkommen.« Caesar grinste. »Wirklich dumm von Vercingetorix. Er zwingt mich dazu, Avaricum zu erobern, weil es wahrscheinlich der einzige Ort in diesem gottverlassenen Land ist, wo ich etwas zu essen auftreiben kann.«
Am fünfzehnten Tag, als sich die Terrasse zwei Drittel des Weges an die Mauer herangeschoben hatte, verlegte Vercingetorix sein Lager noch weiter in Richtung Avaricum und beschloß, der auf Nahrungssuche durch die Gegend streifenden Zehnten Legion eine Falle zu stellen. Er ritt mit seinen Reitern los, um die Römer zu überrumpeln, doch ging der Plan nicht auf, da Caesar seinerseits um Mitternacht mit der Neunten ausrückte und Vercingetorix’ Lager bedrohte. Beide Seiten zogen sich daraufhin kampflos zurück — für Caesar keine einfache Sache, da seine Männer darauf brannten, zu kämpfen.
Auch Vercingetorix kam in Schwierigkeiten. Kein anderer als Gutruatus bezichtigte ihn plötzlich des Verrats. In Gutruatus waren Zweifel an Vercingetorix’ Fähigkeiten erwacht, und er begann zu überlegen, ob er nicht lieber selbst König werden sollte. Doch Vercingetorix konnte den Kriegsrat auf seine Seite ziehen und kam bei dieser Gelegenheit
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