Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

MoR 05 - Rubikon

Titel: MoR 05 - Rubikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
Vom Netzwerk:
Vercingetorix sprach, kehrte seine Begeisterung zurück, und er wirkte belebt und weniger von Sorgen niedergedrückt.
    »Dann halbieren wir die Ration eben noch einmal«, seufzte Daderax.
    »Es gäbe noch andere Möglichkeiten, die Verpflegung zu strecken«, sagte Critognatus.
    »Nämlich?« fragte Biturgo skeptisch.
    »Die Krieger müssen überleben, Biturgo. Wir müssen kampfbereit sein, wenn die gallische Armee eintrifft. Kannst du dir vorstellen, wie groß der Schock für sie wäre, wenn sie nach dem Sieg über Caesar beim Betreten der Stadt feststellen müßte, daß wir alle tot sind? Was das für ganz Gallien bedeuten würde? Der König tot, Biturgo tot, Daderax tot, Critognatus tot und alle Krieger und Frauen und Kinder der Mandubier tot? Weil wir nicht genug zu essen hatten? Weil wir verhungert sind?«
    Critognatus trat vom Tisch zurück, so daß die anderen ihn ganz sehen konnten. »Ich schlage deshalb vor, wir tun dasselbe wie beim Einfall der Kimbern und Teutonen! Wir machen es genauso wie unser Volk damals — verbarrikadiert in seinen oppida , ernährte es sich zuletzt von den Nutzlosen, die nicht zum Krieg taugten. Eine gräßliche Kost, aber es mußte sein. Nur so konnten wir Gallier damals überleben. Und wer waren damals unsere Feinde? Germanen! Rastlose Menschen, die sich bald langweilten und wieder verschwanden, um neue Länder zu erobern. Und die uns ließen, was wir hatten, bevor sie gekommen waren — unsere Freiheit, unsere Bräuche und Traditionen, unsere Rechte. Aber wer ist heute unser Gegner? Die Römer! Und die werden nicht wieder verschwinden, sondern uns unser Land, unsere Frauen, unsere Rechte, die Früchte unserer Arbeit wegnehmen. Sie werden hier ihre Villen mit Heizöfen, Bädern und Blumengärten bauen! Sie werden uns demütigen und unsere Leibeigenen über uns setzen! Sie werden unsere oppida zu Städten machen, in denen das Laster herrscht! Wir Adlige werden Sklaven sein! Und glaubt mir, bevor ich ein römischer Sklave werde, esse ich tausendmal lieber Menschenfleisch!«
    Vercingetorhr würgte, kreideweiß im Gesicht. »Das wäre ja abscheulich!« stieß er hervor.
    »Ich glaube, die Krieger müssen das entscheiden«, sagte Biturg°.
    Daderax war über dem Tisch zusammengesunken und hatte den Kopf in den Armen vergraben. »Mein Volk, mein Volk«, murmelte er. »Die Alten, die Frauen, die Kinder, alle unschuldig.«
    Vercingetorix holte tief Atem. »Ich könnte es nicht«, sagte er.
    »Ich könnte es«, erklärte Biturgo. »Aber die Krieger sollen entscheiden.«
    »Wenn sie entscheiden sollen, wozu haben wir dann einen König?« fragte Critognatus.
    Ein Stuhl schrammte über den Boden, und Vercingetorix stand auf. »Nein, Critognatus, eine solche Entscheidung kann nicht der König treffen! Selbst die mächtigsten Könige haben Berater, und wenn es darum geht, ob wir uns mit den niedrigsten Tieren auf eine Stufe stellen wollen, muß das ganze Volk entscheiden.« Er sah Daderax an. »Daderax, alle sollen sich im Osten vor den Mauern versammeln.«
    »Wie klug!« flüsterte Daderax und erhob sich schwerfällig. »Du weißt, wie die Abstimmung ausgehen wird, Vercingetorix! Du willst bloß nicht mit dem Makel der Entscheidung behaftet sein. Sie werden dafür stimmen, meine unschuldigen Mandubier zu essen. Sie sind ausgehungert, und Fleisch ist Fleisch. Doch ich habe eine bessere Idee. Laßt uns tun, was die Menschen schon immer mit denen getan haben, die sie nicht mehr ernähren konnten. Laßt uns die Unschuldigen den Tuatha übergeben. Laßt uns die Unschuldigen aussetzen wie unerwünschte Kinder. Laßt uns wie Eltern sein, die ihre kleinen Kinder nicht durchfüttern wollen, aber beten, daß jemand vorbeikommt, der Kinder will und sich ihrer annimmt. Überlassen wir die Sache den Tuatha. Vielleicht haben die Römer ja Mitleid und lassen die Ausgesetzten durch ihre Linien. Vielleicht haben die Römer so viel zu essen, daß sie ihnen ein paar Reste überlassen. Vielleicht kommt ja auch die Entsatzarmee und befreit uns. Oder sie müssen sterben, von allen verlassen, auch von den Tuatha. Das könnte ich hinnehmen. Aber glaubt ihr ernsthaft, ich würde einer Entscheidung zustimmen, die mich zwingen würde, entweder unschuldige Angehörige meines Volkes zu essen oder zu verhungern? Nie und nimmer! Wenn es unbedingt sein muß, werde ich sie aussetzen lassen — den Tuatha zum Geschenk. Dann hätten wir ein paar tausend hungrige Mäuler weniger zu stopfen. Zwar hätten wir immer noch

Weitere Kostenlose Bücher